UnBooks:Schnell vor der Arbeit noch etwas einkaufen

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Was esse ich heute zu Mittag? Meistens stellt sich mir diese Frage erst gegen kurz vor zwölf im Büro, wenn der Magen allmählich Aktionsbereitschaft meldet. Dann ist es zu spät, noch einen Bringdienst zu beauftragen, klebrige Pizza fällt also schon mal aus. Ich muss improvisieren, wie fast jeden Tag. Um zwölf lasse ich die Tastatur fallen, trete vor die Tür des kleinen Bürohauses und überlege, in welche Richtung ich meine Schritte lenken soll. Nach rechts, zum Seniorenheim, wo eine aufgeweckte Unternehmerin eine Art heiße Theke für die Rentner betreibt, die heute keine Lust auf ihren Kantinenfraß haben? Das ist am nächsten. Allerdings ist der geschmackliche Vorsprung der "heißen" Theke vor dem Kantinenfraß für Außenstehende kaum wahrnehmbar.

Oder nach links, ein paar Schritte mehr, zur türkischen Salatbar? Wer seinen Dosenmais besonders ölig mag, kommt dort voll auf seine Kosten. Was gibt es noch? Etwas weiter einen richtigen Bäcker mit einer brauchbaren Auswahl belegter Brötchen, oder ich gehe gleich ins Stadtzentrum, da gibt es Abfütterungsstationen jeder Provenienz.

Heute morgen aber kommt mir bereits auf dem Weg zur Arbeit der Gedanke, mich rechtzeitig ums Mittagessen zu kümmern. Ich könnte etwas einkaufen! Wozu gibt es im Büro eine Teeküche mit einem Kühlschrank? Ich könnte mir einfach etwas Aufschnitt besorgen und dort deponieren. Viele Kollegen tun das. Dazu ein paar frische Brötchen, das ist doch lecker, und ich muss nicht immer so viel Geld für teures Schlammfood raushauen.

An meinem Arbeitsweg gibt es genug Einkaufsmöglichkeiten, etwas Zeit ist auch noch, also rein in den Netto und hinterher noch zum Bäcker nebenan. Ich fühle mich super bei dem Gedanken an so viel Vorausplanung.

Nun ja, ganz so viel Zeit ist in Wirklichkeit nicht mehr. Aber ein kurzer Blick zur Kasse verrät mir, dass im Netto gerade nicht viel los ist. Ein Sprint zum Kühlregal, dann fix zur Kasse und die Sache wird geritzt sein.

Bei meiner Rückkehr zur Kasse hat sich die Lage etwas geändert. Oder sollte ich eben etwas übersehen haben? Es stehen fünf Leute vor mir an der Kasse. Allerdings hat jeder von ihnen nur zwei oder drei Teile. Ein schneller Einkauf vor der Arbeit, genau wie bei mir. Sollte kein Problem sein.

Supermarktkassierer sind heute hoch effiziente Arbeitskräfte und bewältigen so etwas im Nu. Deshalb wären sie mit dem einfachen Abkassieren auch total unterfordert und machen nebenher noch eine Menge andere Dinge. Zum Beispiel Pfandflaschen annehmen. Ich sehe mit aufsteigender Unruhe, dass der Kunde, der gerade an der Reihe ist, einen großen Pappkarton mitgebracht hat, in dem sich offenbar Pfandflaschen befinden. Und der Vorgang der Pfandflaschenannahme ist anscheinend kompliziert. Es sieht so aus, als müsse der Kassierer für jede angenommene Flasche einen achtundzwanzigstelligen Geheimcode in seinen Kassencomputer tippen, um sicherzugehen, keine gefälschten Pfandflaschen angedreht zu bekommen. Dass Pfandflaschenfälschung inzwischen ein solches Problem darstellt, war mir nicht klar. Der Kassierer wirkt hochkonzentriert, jeder Vertipper kann fatal sein.

Mein Zeitplan beginnt zu wackeln, aber noch kann es klappen. Schließlich beendet der Kassierer die Prozedur und zahlt dem Pfandflaschenverwerter seinen Gewinn aus. Der Mann sieht aus, als müsse er davon leben. Ich schlucke meinen Unmut herunter und hoffe, dass es mit den übrigen Kunden nun flott vorangeht.

Während der Pfandgeldzeremonie hatte ich ausreichend Gelegenheit, die Einkäufe der vor mir stehenden Kunden auf dem Kassenband zu studieren. Sagen Einkäufe etwas über den Menschen aus? Was zum Beispiel hat die Kombination zwei große Schachteln Paniermehl und eine Packung billiger Räucherlachs zu bedeuten? Die Frau, die mit diesem Einkauf jetzt an der Reihe ist, hat vielleicht ein uraltes Familienrezept geerbt, oder benötigt die Zutaten für ein Voodoo-Ritual? Oder sie ist einfach nur schwanger? Nein, das käme von der Körperfülle her zwar hin, aber vom Alter her ist es unwahrscheinlich. Während ich über diesem Geheimnis brüte und von einem Bein aufs andere trete, schickt die Dame sich an, zur Bezahlung zu schreiten. Vier Euro dreiundsiebzig. Ein solche Menge Geld schleppt natürlich kein Mensch in bar mit sich herum, also zückt sie eine Karte. War klar.

Leider nimmt der Kassencomputer die Karte nicht an, trotz zahlreicher Versuche, sie immer wieder vorwärts und rückwärts durch einen Schlitz zu ziehen. Der Kassierer entschuldigt sich dafür und erklärt, man habe gerade ein neues Computersystem eingeführt. Dann wird er nachdenklich und fügt hinzu, dass der Kassencomputer neuerdings direkt mit der Bank verbunden ist. Offenbar dämmert ihm, dass mit der Karte alles in Ordnung ist, nur mit dem zugrundeliegenden Kontostand nicht. Die Aussage des Computers zu diesem Thema, Zahlung nicht möglich, ist recht neutral gehalten. Ich bemühe mich, meine Verachtung zu zügeln und woanders hinzusehen. In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, in der sich jemand nicht einmal mehr seinen täglichen panierten Räucherlachs leisten kann?

Bei all diesen Überlegungen spüre ich die Zeit immer mehr im Nacken sitzen. Doch der Abgang der Kundin muss würdevoll vonstatten gehen. Sie entschuldigt sich vornehm und sichert zu, nach einem kurzen Besuch beim nächsten Geldautomaten zurückzukehren und das Geschäft abzuschließen. Für den Kassierer ist der Vorgang damit aber nicht erledigt, denn er hat die Waren ja schon in seine Kasse gebucht. Er muss den Vorgang stornieren.

Und hierzu braucht er natürlich die Unterstützung eines weiteren Mitarbeiters. Ein Storno, oder in der Netto-Fachsprache Bonabbruch, wie ich im Zuge dieses lehrreichen Einkaufs lernen darf, ist ein sensibler Prozess, den ein einfacher Kassierer nicht auf eigene Faust durchführen darf. Es gilt das Vier-Augen-Prinzip, sonst könnten betrügerische Kassierer ja durch stornierte Einkäufe Millionenschäden anrichten. So muss es sein. Der Kassierer ruft also nach einer Kollegin.

Mir war gar nicht klar, dass es in diesem Netto noch mehr Mitarbeiter gibt. Bisher waren sie mir nicht aufgefallen, zumal die Schlange an Kasse inzwischen recht lang ist und links und rechts noch drei weitere verwaiste Kassen stehen. Ja, direkt über mir hängt ein Schild, das mich auffordert, dem Personal Bescheid zu geben, wenn vor mir in der Schlange mehr als fünf Personen stehen, damit eine weitere Kasse geöffnet wird. Ich zähle noch mal durch, aber vor mir stehen nur noch vier (wenn man die stornierte Kundin mitzählt, an der der Kassierer ja noch hängt). Ich darf also nicht. Verdammt. Allerdings stehen hinter mir noch mehr Leute. Theoretisch könnte der zweite Kunde hinter mir etwas sagen, denn der hat mehr als fünf vor sich. Soll ich ihn darauf aufmerksam machen?

Eine schwierige Entscheidung, denn der Kassierer und seine gerade eingetroffene Kollegin sind jetzt mit dem Storno beschäftigt. Besser nicht ablenken. Danach geht es bestimmt ganz fix. Ach, ist jetzt eigentlich eh egal. Mein Zeitplan ist so oder so flöten, und ich wollte hinterher ja auch noch zum Bäcker, sonst habe ich keine Brötchen für meinen Aufschnitt. Hoffen wir, dass es niemand mitkriegt, wenn ich ein paar Minuten später komme. Ich mache es also wie sonst auch, wenn ich im Stau stehe oder verpennt habe, und beschließe, mich später zu ärgern oder gar nicht. Das erlaubt mir, die weiteren Geschehnisse mit einer gewissen faszinierten Distanz zu beobachten.

Der Bonabbruch ist tatsächlich recht flott erledigt, die Kollegin muss dazu nur mit ihrer Schlüsselkarte durch den Schlitz des Kassencomputers fahren. Da ihre Schlüsselkarte durch eine Kette mit ihrem Körper verbunden ist, muss sie sich dazu etwas verrenken. Die Sicherheitsvorschriften in diesem Netto sind wirklich vorbildlich.

Nun könnte es weitergehen. Haste gedacht. Denn da ist ja noch die Ware, die beiden Packungen Paniermehl und der Räucherlachs. Der Kassierer macht uns professionell darauf aufmerksam, dass er verpflichtet ist, den Räucherlachs in die Kühlung zurückzubringen. Das müssen wir einsehen. Und der Mann ist effizient, das muss man ihm lassen. Er rennt mit dem Lachs nicht etwa durch den halben Laden zurück zum Kühlregal, sondern er deponiert ihn in einem Getränkekühler in Kassennähe. Dort werden offenbar alle verwaisten, kühlungsbedürftigen Kassenüberbleibsel gelagert. Ich nehme mir vor, bei meinem nächsten Besuch mal das Sortiment in diesem Getränkekühler zu studieren. Nun ja, falls ich wiederkomme.

Immerhin darf das Paniermehl erst einmal an der Kasse liegen bleiben, für so etwas hat der Kassierer ein Geheimfach. Ein Profi durch und durch. Er fertigt den Rest der Kassenschlange jetzt eiskalt und effizient ab und niemand von uns würde es wagen, noch einmal eine Karte zur Bezahlung zu zücken. Ich bin endlich draußen! Noch ein schneller Besuch beim Bäcker, dann im Büro an den grinsenden Kollegen vorbeidrücken und an den Computer. Und erstmal diese Geschichte niederschreiben, um den Arbeitstag mit etwas Sinnvollem zu beginnen.

Dieser Artikel ist Artikel der Woche 23/2013
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