UnBooks:Alpenglühen
Die saftigen Bergwiesen liegen im gleißenden Sonnenlicht. Der Duft von Alpenveilchen und Enzian liegt in der Luft, eine Herde Kühe liegt faul in der Alpensonne und kaut genüsslich wieder. Das Summen von Hummeln und Bienen und der langgezogene Schrei eines vorbeifliegenden Mäusebussards untermalt die idyllische Szenerie akustisch, in der Ferne ist ein Alphorn zu hören und ein Jodler jodelt seine Freude über die Sommerfrische in den azurblauen Sommerhimmel.
Auf der Alm sitzt der Bauer Ranzenhuber bei einem Krug Starkbier und kommandiert seine junge Magd umher. Ihm geht es heute nicht so gut, nachdem die Europäische Kommission ihm gestern in einem kurzen Schreiben mitgeteilt hat, seine Zuschüsse würden um 30% gekürzt. Auch ist ihm sein altersschwacher Traktor letzte Woche abgeraucht und er hat kein Geld für die Reperatur. Genau genommen geht es ihm total beschissen, er ist voller Wut und sucht nach einem Ventil, um seinen Frust loszuwerden. Da kommt es sehr gelegen, dass ein torkelndes Huhn gerade durch die Szenerie stolpert und ennervierend herumgackert. Der Bauer greift nach einer Axt und nimmt die Verfolgung des Huhns auf. Aufgrund des Starkbierkonsums am frühen Morgen ist er zwar etwas orientierungslos, schafft es aber bald, das Huhn einzuholen. Mit einer ausladenden Bewegeung reißt er die Axt hoch und hackt dem Tier mit einem gezielten Schlag den kleinen Kopf ab. Kopflos rennt das Huhn noch einige Momente umher, bis es kurz vor der Scheune tot umfällt und ausblutet.
Doch dem Bauer reicht das nicht, noch immer erfüllt der Zorn seinen Geist - etwas Gewalttätigeres muss her, um seine Mordlust zu befriedigen. Also begibt er sich in die Scheune, wo die Magd gerade die Schweine füttert. Grob keuchend schleicht er sich von hinten an die Magd heran und packt sie an ihren langen blonden Haaren. Er reißt ihr das Sommerkleid vom jungen, unwilligen Körper und will sich gerade an ihr vergehen, als ein Herzinfarkt den Ranzenhuber schachmatt setzt und ihn dazu zwingt, von der jungen Magd abzulassen. Nun liegt der Bauer im Schatten der Scheune und wartet auf seinen Tod. Die Magd könnte zwar den Landarzt herbeirufen, doch sie will ihrem Herrn nicht helfen und ist froh, dass er endlich stirbt. Die Kuh Linda kommt kurz vorbei und läutet dem Ranzenhuber die Todesglocken, dann wird es dunkel um den bösen Mann.
Der Blick von der Alm ins Tal ist atemberaubend schön. Hinterm Horizont könnte der Anblick von versmogten Slums in São Paulo oder Mexico-City das Bild trüben, doch so weit sieht man nicht. Die ohrenbetäubenden Sprengstoffexplosionen und die Todesschreie zerfetzter Menschen könnten aus Bagdad herrüberschallen und das Summen der nektarsuchenden Insekten übertönen, doch so weit hört man nicht. Der Geruch ätzender Chemikalien aus indischen Textilfabriken könnte den Duft der Bergblumen übertünchen, doch so weit riecht man nicht. Das Gefühl von unbändiger Wut über den Zustand der Welt könnte das euphorische Gefühl der Sommerfrische überlagern, doch so tief fühlt man nicht.
Alles ist schön, alles ist ruhig, die Magd nimmt einen Benzinkanister, verteilt den Inhalt über die hölzernen Wände der Berghütte und zündet die Alm an, nachdem sie vorher alle Tiere aus den Ställen befreit hat. Sie nimmt die Schrotflinte des verstorbenen Bauern und schießt sich in den Mund...Ihr Kopf explodiert und ein Großteil ihres Gehirns verteilt sich auf der Bergwiese und wird eins mit dem Enzian.
Nun ist es ganz still über der Alm, auch die Hummeln haben aufgehört zu summen. Am Horizont geht die glühende Alpensonne unter - die Welt schläft ein.