UnBooks:Das Märchen von dem braven Köhler und dem bösen Schwan
Es war einmal ein braver Köhler, der lebte in einem Wald unter lauter Räubern. Da kam eines Tages eine Prinzessin in den Wald, die weinte bitterlich. Und als der Köhler zur Prinzessin ging und fragte, was denn ihr Kummer sei, da sprach die Prinzessin: „Ich habe das Lachen verlernt. Meine Mundwinkel sind von Geburt an tiefergelegt.“
Da sprach der brave Köhler: „Jeder sollte wissen: Je kleiner die Schritte, desto mehr Schritte muss er machen.“
Die Prinzessin sah ihn merkwürdig an. Und der brave Köhler sprach weiter: „Man springt nur so weit, wie man im Kopf schon ist.“
Die Prinzessin gluckste ein bisschen. Und der Köhler setzte hinzu: „Systematische Bestenauslese bei Chancengleichheit - davon sind wir in den meisten Lebensbereichen leider weit entfernt.“
Die Prinzessin begann zu grinsen, kicherte ein wenig, und lachte schließlich lauthals los. Der brave Köhler blickte etwas verwundert, weil das Lachen der Prinzessin mit den sagenhaft tiefgelegten Mundwinkeln sehr merkwürdig aussah. Doch das merkte die Prinzessin in ihrem Lachanfall nicht.
Als die Prinzessin sich wieder etwas erholt hatte, sagte sie: „Lieber guter Köhler, komm mit mir in mein Land, und wenn du mich nur immer zum Lachen bringst, dann sollst du in meinem Land König sein!“
Und so geschah es. Der brave Köhler wurde König im Land der Prinzessin. Allerdings hatte die Prinzessin dem Köhler nicht erzählt, dass in ihrem Land der König nichts zu melden hatte. Als König musste der Köhler tagein, tagaus die Gesetze unterschreiben, die die Prinzessin von ihren Hofdichtern ersinnen ließ, und wenn Besuch kam, musste der Köhler sein bestes Wams anlegen und vielen fremden Menschen die Hände schütteln.
Doch das machte dem Köhler gar nichts aus, und er konnte viele Menschen zum Lachen bringen, und alle waren zufrieden.
So ging es einige Jahre, doch eines Tages kamen einige der Hofdichter zur Prinzessin und sprachen: „Liebe Prinzessin, wir haben nun jahrein, jahraus über den guten Köhler gelacht, wir möchten auch einmal wieder über etwas anderes lachen.“
Und einer der Hofdichter öffnete einen Korb. Aus diesem Korb stieg ein großer, stolzer Schwan mit lauter roten Federn. Als der Schwan den Schnabel öffnete, zeigte sich, dass er riesengroße Zähne besaß, die ihm ein bizarres Grinsen verliehen. Dies fanden die Hofdichter und Berater über alle Maßen lustig und rollten vor Lachen über den langen, weichen Teppich des Thronsaals.
Die Prinzessin aber mochte nicht mitlachen. „Fort mit diesem furchtbaren Tier!“ rief sie aus. „Wisst Ihr nicht, dass alles, was rot ist, schreckliches Unglück über unser Land bringt?“
Nun, das wussten die Hofdichter nicht, obwohl es ihnen die Prinzessin immer und immer wieder eingeschärft hatte. Heimlich hatten einige der Hofdichter sogar eine Vorliebe für alles Rote. Sie beschlossen, der Prinzessin einen Streich zu spielen, und forderten, der rote Schwan solle neuer König werden.
Dies konnte die Prinzessin nun gar nicht fassen. „Seid ihr von Sinnen?“ rief sie aus. „Ein Schwan als König, das ist doch ganz und gar ausgeschlossen. Und ein roter schon gar nicht.“ Und sie dachte an ihren armen, schwarzen Köhler, und ihre Mundwinkel rutschten noch ein ganzes Stück weiter nach unten, soweit dies überhaupt möglich war.
Da begannen die Hofdichter und Berater, untereinander zu tuscheln und zu schwatzen, und es stellte sich heraus, dass einige doch lieber den schwarzen Köhler behalten wollten. Andere wollten den roten Schwan, und wieder andere wollten auch den Schwan, aber er war ihnen noch nicht rot genug, sie wollten ihn lieber dunkelrot. Da sprachen die, die den roten Schwan wollten, zu denen, die ihn lieber dunkelrot hätten: „Hört zu, wir möchten gern, dass ihr uns helft, den roten Schwan zum König zu machen. Aber ansonsten möchten wir nichts mit euch zu tun haben, denn euer Dunkelrot gefällt uns nicht.“ Die aber, die für den schwarzen Köhler waren, riefen laut: „Seht nur, wie die Hellroten mit den Dunkelroten tuscheln! Eines Tages werden sich alle Roten zusammentun und unsere Prinzessin vom Thron stürzen!“ Und alle stritten, dass der ganze Thronsaal zitterte.
Nun aber zeigte sich, dass die Prinzessin klug und weise war. Sie gebot ihren Hofdichtern und Beratern, zu schweigen, und sprach mit strenger Stimme: „Denkt ihr denn gar nicht an unser Land? All meine lieben Untertanen da draußen sind froh und zufrieden, weil der brave Köhler sie jeden Tag zum Lachen bringt. So können sie all ihre Sorgen vergessen. Sie denken nicht mehr daran, dass ihr Brot jeden Tag teurer wird und ihre Kinder in Lumpen gehen.“
Das mussten die Berater verschämt einsehen. Sie dachten mit Grausen daran, was geschehen würde, wenn die vielen einfachen Untertanen plötzlich nichts mehr zu lachen hätten. Schnell schickten sie den roten Schwan fort, die Prinzessin versprach allen Hofdichtern und Beratern eine Menge Gold und Geschmeide, und so wurde im Land der Prinzessin doch noch alles gut.