Banküberweisung
Eine Banküberweisung ist eines der kompliziertesten und aufwendigsten Geheimrituale in der modernen Geschäftswelt. Viele Verbraucher sind der irrigen Ansicht, in den Zeiten der modernen Telekommunikation müsste sich der Transfer eines Geldbetrages eigentlich innerhalb von Sekundenbruchteilen erledigen lassen. Aber das ist natürlich Science Fiction. Tatsächlich handelt es sich um harte, zeitraubende Arbeit, die nur gelingen kann, wenn alle Abteilungen einer Bank reibungslos wie ein Uhrwerk zusammenarbeiten.
Ablaufbeschreibung einer Banküberweisung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Damit der Leser die komplexen Vorgänge verstehen lernt, die hinter einer scheinbar banalen Überweisung stecken, möchten wir die betriebswirtschaftlichen Abläufe hier einmal beispielhaft durchgehen. Nur so kann der Kunde Verständnis für den anstrengenden Alltag eines Bankers entwickeln und wird in Zukunft mehr Respekt für die Leistung empfinden, die dahintersteckt, wenn seine 6,50 € für die bei ebay ersteigerten Ü-Ei-Figuren (incl. Porto) schon nach kaum einer Woche auf dem Konto des Empfängers gutgeschrieben sind.
Filialkonferenz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Es ist 14.30 Uhr an einem gewöhnlichen Werktag. Die Bankfiliale schließt ihre Tore und die Mitarbeiter freuen sich auf den verdienten Feierabend nach einem langen, beschwerlichen Arbeitstag. Die letzten Kunden und andere lästige Subjekte haben den Schalterraum verlassen, und der Filialleiter ruft die Mitarbeiterschaft zu einem abschließenden Meeting zusammen, um den Tag zu besprechen und bei einer guten Tasse Kaffee langsam ausklingen zu lassen.
Doch an dem verzerrten Gesicht seines EDV-Chefs sieht er sofort, dass etwas nicht stimmt. Seine Ahnungen bestätigen sich, als der Kollege mit zitternden Fingern einen Überweisungsträger aus seiner Aktentasche hervorholt. Ein unterdrücktes Aufstöhnen der ganzen Belegschaft ist zu hören. Eine Überweisung! Alle wissen, dass sie ihren Feierabend nun vergessen können. Und niemand hat etwas geahnt! Die Überweisung ist nicht am Schalter abgegeben worden, sondern der Kunde hat sie online eingegeben, zu Hause am eigenen PC. Der EDV-Chef hat sie inzwischen schon vom Bildschirm abgeschrieben und einen ordnungsgemäßen Überweisungsträger dafür ausgefüllt. Verfluchtes Homebanking! Der Überweisungsträger wird mit spitzen Fingern am Konferenztisch herumgereicht.
Sachliche Beurteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Aber die Mitarbeiter der Bank sind Profis und wissen, dass sie diese Situation jetzt gemeinsam meistern müssen. Wichtige Entscheidungen sind zu treffen, und die erforderlichen Informationen müssen so schnell wie möglich auf den Tisch. Der Filialleiter hört aufmerksam zu, während ihm die Kollegen alles über die finanziellen und familiären Verhältnisse des Kontoinhabers berichten. Kann sich der Kunde die Zahlung überhaupt leisten? Was kauft er da überhaupt? Ist es wirklich im Sinne des Kunden, seiner Familie, seiner Erben, wenn diese Überweisung einfach so ausgeführt wird?
Die Bank beschäftigt einen Psychologen, dessen Rat bei der Beurteilung des Zahlungsvorgangs besonderes Gewicht hat. Er muss die geistige Verfassung des Kontoinhabers begutachten und versuchen, den Willen des Kunden in dessen Sinne richtig zu interpretieren. Anwälte und Detektive werden in bedeutenderen Fällen (ab einer Summe von etwa 5 €) hinzugezogen, was oft dazu führt, dass die Konferenz vertagt werden muss.
Technische Realisierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Inzwischen hat der EDV-Chef sich durch lange Listen mit Zahlenkolonnen geblättert, um die Bankleitzahl auf der Überweisung zu entschlüsseln. Sein Gesichtsausdruck verrät erneut nichts Gutes. Das Konto des Zahlungsempfängers gehört zu einer fremden Bank in einer fremden Stadt! Dem Filialleiter ist klar, dass er damit an die Grenzen seiner Entscheidungskompetenz gelangt ist. Er muss die Erlaubnis der Zentrale einholen, und in der Zentrale wird man nicht erfreut sein. Das ist schon das dritte Mal in diesem Monat! Dabei hatte ihn die Geschäftsleitung noch beim letzten Mal vergattert, er müsse aufhören, das mühsam angehäufte Geld seines Unternehmens für so fragwürdige Dinge wie Überweisungen an andere Banken zu verplempern.
Dazu kommen die technischen Schwierigkeiten. Eine Überweisung innerhalb der gleichen Bank ist relativ einfach, man nimmt das Geld dafür eben aus dem Konto des einen Kunden und legt es in das Konto des anderen Kunden. Das kann höchstens Probleme aufwerfen, wenn gerade nicht genug Kleingeld im Haus ist. Aber eine fremde Bank, noch dazu in einer fremden Stadt? Das bedeutet Dienstreise, womöglich Übernachtung, und dann noch die hämischen Blicke der Konkurrenz, wenn man ihr die Münzen auf den Tisch zählt. Das hat niemand gern, und wie jedes Mal wird es schwierig sein, einen Freiwilligen für diese Aufgabe zu finden. Oft bleibt es an den Unverheirateten hängen, wer Familie hat, bekommt eher die kurzen Strecken.
Terminfestlegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Neben der organisatorischen Umsetzung spielen auch andere Faktoren eine Rolle, die den tatsächlichen Zeitpunkt der Gutschrift beeinflussen können. Jeder Banker weiß, dass Geld mehr ist als nur ein schlichtes Zahlungsmittel. Geld hat Gefühle, Geld hat Karma, man kann Geld nicht einfach lieblos hin- und herschieben. Ein Astrologe muss herangezogen werden, um die Mondphasen und Planetenkonstellationen zu analysieren und den besten Termin für die Ausführung der Überweisung zu bestimmen. Numismatiker und Graphologen treten zusammen und machen Vorschläge, welche Münzen und Scheine aus den Beständen der Bank für die Überweisung verwendet werden könnten. Oft stehen diesen Menschen Tränen in den Augen, weil sie wissen, dass sie sich wieder einmal von ein paar liebgewonnenen Schätzchen trennen müssen. Ein geeigneter Behälter muss gefunden werden und wird liebevoll ausgepolstert.
Abschied[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Inzwischen ist ein Mitarbeiter ausgewählt worden, der den schweren Gang antreten muss. Eine unauffällige Aktentasche wird ihm mit einer Stahlkette ans Handgelenk montiert. Die Belegschaft versammelt sich am Hinterausgang der Filiale und klopft dem Kollegen aufmunternd auf die Schultern, insgeheim froh, diesmal davongekommen zu sein. Ein schweres gepanzertes Fahrzeug ist vorgefahren. Der Fahrer hat eine Spezialausbildung, die beiden bewaffneten Wachleute sichern nach allen Seiten. Mit gehetztem Blick springt der Bankangestellte auf den Rücksitz, und der Transport donnert davon. Er nimmt eine Geheimroute, die niemand kennen darf, auch der Fahrer nicht.
Fazit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der organisatorische Aufwand, der auch hinter der kleinsten Überweisung steckt, macht es erstaunlich, dass ein solcher Vorgang vom deutschen Bankwesen inzwischen innerhalb nur weniger Tage bewältigt wird. Nur ein Laie kann sich ernsthaft über angeblich zu lange Laufzeiten bei Überweisungen beklagen. Stattdessen wäre Dankbarkeit und Respekt angebracht für die vielen fleißigen und begabten Köpfe, die eine solche Leistung erst möglich machen.