Lebensmittelersatz
Nachricht aus der Redaktion der Zeitschrift Sprühnase:
„Wenn ich das Fallobst so betrachte, kommt mir da eine Idee...“
- ~ Heinz Erhardt über seine Meerrettichrezeptur
In letzter Zeit wird zunehmend häufig gemeldet, dass im deutschen Handel im Zuge der Abkehr von den bereits etablierten Ersatzstoffen auf die von Natur vorgegebenen, originalen Zutaten umgestellt wird. Dass das den Fakten entsprechen könnte, zeigt auch ein diesem Beitrag beigefügter Beleg. Wie aus diesem Foto ersichtlich, gibt man unverhüllt zu, dass die Milch früher künstlich hergestellt wurde. Kein Wunder, dass früher massenweise Briefe an unsere Redaktion geschickt wurden, in denen von den seltsamsten Entwicklungen der im Supermarkt gekauften, angeblichen Milch berichtet wurde (z.B.: „die über Nacht zum Beispiel unachtsam auf dem Tisch gelassene Milch war am nächsten Abend nicht zur Sauermilch geworden, sondern zu einer stark und übel riechenden, geleeartigen Masse von verschiedenen Farbnuancen, die von Rosa über Grün bis hin ins Graue reichten“, so aus der Feder von I.S. - [Name von der Redaktion gekürzt]. Uns erinnerten diese Berichte jedenfalls konstant an des weltbekannten gesellschaftskritischen englischen Romanciers George Orwells Worte in „1984“ bei der Beschreibung einer suspekten „rosa-grauen Masse“ beim Kantinenessen).
Zum deutschen Begriff „Ersatz“, der offensichtlich eine lange Tradition bei unseren angelsächsischen Nachbarn besitzt, schrieb bereits Orwell einen aufgeweckten Gedanken in seinem Werk mit dem Titel „Coming Up For Air“:
„I remembered a bit I'd read in the paper somewhere about these food-factories in Germany where everything's made out of something else. Ersatz, they call it. I remembered reading that THEY were making sausages out of fish, and fish, no doubt, out of something different.“
(„Ich erinnerte mich flüchtig daran, dass ich in den Zeitungen irgendwo über diese deutschen Lebensmittelfabriken gelesen hatte, in denen alles aus etwas anderem hergestellt wurde. Ersatz nennen sie das. Ich erinnerte mich daran, gelesen zu haben, dass SIE Würste aus Fisch gemacht hatten, und Fisch, kein Zweifel, aus etwas anderem.“)
Du meine Güte! Wenn es heute eine unverfälschte Milch ist, was wir kaufen, dann was haben wir denn bislang getrunken? Womit sind wir groß geworden, wenn Orwell obiges bereits im Jahre 1939 schrieb? Die Frage ist berechtigt und beängstigend zugleich. Beruhigend hingegen ist der Fakt, dass wir wohl ab sofort auf dem Wege der Genesung sind. Sein sollten. Zumindest, wenn man uns nicht wieder auf den Arm nimmt...
Aber interessiert das denn die große Menge von Konsumenten wirklich? Meine persönlichen Erfahrungen in den USA zeigten, dass die Konsumenten eine beachtliche und Besorgnis erregende Ruhe (oder Ignoranz, Desinteresse) in Bezug auf ihre Essgewohnheiten zeigen und sich bei weitem nicht so pingelig wie unsere europäischen Freunde Schweden oder Ungarn über den ihnen servierten Lebensmittel gebärden – Letzteren hatte man angeblich aus wissenschaftlichem Interesse (wahrscheinlich jedoch aus Konkurrenzgründen) versucht, die großen grauen Rinder mit BSE zu infizieren, zum Glück der weltweit zahlreichen Gulasch-Freunde aber waren diese dagegen einfach resistent.
Zurück zum teilnahmslosen Durchschnittsamerikaner: Bei meinem Besuch im Jahre 1983 auf der East-Coast stand in Highway-Restaurants standardmäßig ein kleines Becherchen mit Tütchen voll diverser Süßstoffen und Zucker zum Versüßen von Kaffee oder Milch auf den Tischen parat, mit in etwa folgender Aufschrift:
„Caution! The consumption of this arificial sweetener may cause cancer. Experiments with laboratory animals have shown a high rate of degenerative deseases of this kind“
(„Vorsicht! Der Verzehr dieses künstlichen Süßmittels kann Krebs verursachen. Experimente mit Labortieren haben eine große Anzahl solcher degenerativen Erkrankungen gezeigt.“
─ Siehe dazu auch den Artikel in der englischen Wikipedia – Suchwort: aspartame. Nach dem zunächst verwendeten Cyclamat, das im Jahre 1970 ohne Wenn und Aber verboten wurde, wurde auf Aspartam gesetzt, immer mit einer leisen Warnung auf der Verpackung, dass das ,Ding' doch nicht so sauber war. Ferner munkelte man in Bezug auf White- und Wheat-Brot, dass das Konsumieren einer der beiden zu Lebererkrankungen führe. In einer Apotheke wollte ich gegen meine von den ewig mit Brucheis gestreckten Getränken verursachten Halsschmerzen etwas zum Lutschen kaufen. Der erste Artikel, das in meine Hände fiel, enthielt im Beipack eine Warnung darüber, dass eine der Nebenwirkungen
„sudden death“ („plötzlicher Tod“)
(sic!) war. Ich dankte, wandte mich wieder zur Tür und wählte lieber heroisch die unangenehmen Schmerzen, denn ich hatte noch einiges vor.
Auch in Österreich hatte es vor einigen Jahren eine Menge Skandale gegeben, weil man den Wein mit Kühlmittel gestreckt bzw. gesüßt hatte. Wer weiß, wenn ein auf solche Weise präparierter Wein die Sexualverbrecher nicht so gut gegen die kalte Schulter und frostigen Blicke der beschlagnahmten Frauen geschützt hätte, wären die armen Opfer schneller davongekommen. So konnten sich die Männer dort vielleicht immer sagen: „Immer nur cool bleiben...“
Aus Italien dagegen hatten wir ja andere „Leckerbissen“ aufgetischt bekommen. Unsere kulinarischen Nachbarn verabreichten uns Dioxin-verseuchte Mozzarella (siehe Süddeutsche Zeitung vom 28.3.2008).
Die wichtigsten Skandale, ob es dabei um Babynahrung, Döner, Eier, Fleisch (Geflügel, Rind- und Schweinefleisch), Honig, Käse, Joghurt, Milch, Nudeln, Obstsäfte, Süßigkeiten, Wurst, um nur die wichtigsten zu nennen, geht, können in den nach Gegenstand und Jahr gelisteten Artikeln bei khd-research.net nachgelesen werden.
Wieder zurück in Deutschland, blicken wir jetzt nach kampferprobten Sojamilch-, Sojafleisch-, Sojabutter- und anderen Sojaproduktjahren resigniert und doch etwas hoffnungsvoll der Zukunft entgegen, wenn man nun von Seiten der Industrie keinen anderen Ersatz für den Ersatz mehr findet als das Original, so dass wir vielleicht demnächst in den Regalen keinen Bhorn-Sirup, sondern wieder Ahornsirup finden werden.
Aber bevor wir darauf hoffen, dass das nun endlich klappt und wir wieder echtes Fleisch und nicht aus Carboxymethylcellulose gefertigten Kartoffelpüree auf den Tisch bekommen, sollten wir uns vielleicht doch ein wenig genügsamer und bescheidener geben und dankbar sein für den Ersatz, ganz im Sinne der Worte des zynischen und witzigen deutsch-englischen Jungschriftstellers Rűdiger Marcus Flaig, der besagt:
„Wir müssen dankbar sein für alles Synthetische, weil es wenigstens nicht virtuell ist“.
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Langmuth: Kropperei bei der Menschlichen Fleischerzeugung. Baldrian-Bibelskirch, ISBN 8-8339-0127-0