UnBooks:Abgebrannt
Der beißende Geruch verbrannten Polyesters weckte mich mitten in der Nacht. Dichte Rauchschwaden füllten den Raum, ich lag auf dem Bett, nur mit einem Karnevalshütchen und einem Kondom bekleidet und hustete mir die Lunge aus dem Hals. Neben mir keuchte eine selten hässliche Person vor sich hin, wer war dieses Wesen? Erinnerungsfetzen tauchten am geistigen Horizont auf und setzten sich zu einem halbwegs realen Bild zusammen: Die gestrige Karnevalsparty, die Unmengen an Bacardi-Cola, das Koks auf der Toilette, die fürchterliche Karnevalsband, die immer das gleiche Lied herunternudelte und dann dieses Wesen neben mir - ich wusste nicht einmal, welches Geschlecht es hatte.
Ein lauter Knall gefolgt von einem herzzereißenden Winseln riss mich aus meinem Gedankennebel, irgendetwas in der Küche war soeben explodiert. Oh Gott, der Hund - Scheiße ich muss hier raus. Flammen zuckten aus der Küchentür, der Flur schien unpassierbar, blieb nur das Fenster. Ich nahm den großen Stein aus Granit, den mir Martina letztes Jahr aus Afrika mitgebracht hatte und warf ihn in Richtung Wohnzimmerfenster. Die Scheibe zersplitterte in Tausend Stücke, die hereintosende Luft fachte umgehend den Polyesterbrand an und binnen weniger Sekunden war ich umgeben von einem Flammenmeer. Mit einem beherzten Sprung hechtete ich durch das Fenster und verspürte einen stechenden Schmerz im Kopf. Ich Idiot hatte vergessen, dass ich in einer Souterrainwohnung lebte und das Wohnzimmerfenster zu einer in etwa 1 Meter Entfernung stehenden Betonwand zeigte. Ich war verloren, die Flammen kamen näher, umzüngelten langsam meine Beine und das letzte was ich hörte, waren die markerschütternden Schreie der Gesichtsbaracke, neben der ich eben aufgewacht war. An den Schreien erkannte ich jetzt auch, dass es ein Mann war - Oh mein Gott, wie konnte ich nur einen Mann mit nach Hause nehmen, wie tief war ich gesunken, ich war doch gar nicht bi und schwul schon gar nicht. Aber spielte das jetzt im Angesicht des Todes noch irgendeine Rolle?
Der Schmerz, der mich nun erfasste war unbeschreiblich. Wie Millionen kleiner Messer fühlte sich mein verbranntes Fleisch an und vor lauter Schmerz vergaß ich ganz das Schreien. Dann wurde es sehr hell um mich, sphärische Klänge ertönten und ein violetter Lichttunnel sog mich in sich auf. Der Schmerz hörte auf und machte einem wohligen, geborgenen Gefühl Platz. So fühlt sich also der Tod an - hmm, nicht so schlecht!
An der Himmelspforte angekommen, immer noch qualmend von dem verbrannten Fleisch an meinem Körper und wie verbranntes Grillfleisch riechend, unterzog mich der androgyn wirkende Himmelswächter einer ausführlichen, nicht unerotischen Leibesvisitation. Er überprüfte meinen Sündenchip, nickte freundlich und befahl mir, mich in die Menschenschlange einzureihen, die vor einem großen Portal mit der Aufschrift ABGEBRANNT wartete. Es gab also einen eigenen Himmel für Brandopfer, was sollte das? Die Absurdität dieser Annahme ließ mich daran zweifeln, ob das alles hier tatsächlich passierte. Vielleicht war es doch nur ein abstruser Traum? Und tatsächlich, ein weit entferntes, schepperndes Klingeln schreckte mich auf, zog mich zurück durch den Lichttunnel und riss mich letztendlich aus meinem Alptraum. Schweißüberströmt wachte ich auf, neben mir eine selig schnarchende Martina, am Fußende der Hund, kein Rauch, kein Polyester, keine Souterrainwohnung - alles in bester Ordnung.
Noch am gleichen Tag schloss ich bei meiner Versicherung eine zusätzliche Brandversicherung ab, ließ die Prämie meiner Lebensversicherung verdoppeln, besorgte mir einen neuen Wecker mit angenehmerem Klang und kaufte für jedes Zimmer unserer Wohnung neue Feuerlöscher. Alle Polyestergegenstände in der Wohnung entfernte ich, was zu einem riesigen Ehekrach mit Martina führte, aber das Gefühl von Sicherheit war mir dieser Streit allemal wert. Ich beschloss auch, einen Psychotherapeuten aufzusuchen, um meine sexuelle Orientierung einmal gründlich überprüfen zu lassen und ein wenig über die Kunst der Traumdeutung zu erfahren. Noch Tage lang tauchten immer wieder Bilder aus dem Alptraum in meinem Kopf auf, bis ich eine Woche später während meiner Mittagspause im Arbeitsamt einen noch viel schrecklicheren Traum hatte: Plattgemacht!