Sonntagsspaziergang
„Ich will aber Playstation!!!“
~ Kevin (8) über Sonntagsspaziergänge
Der Sonntagsspaziergang ist eine mehr oder weniger ungezwungene, allsonntägliche Völkerwanderung, die besonders von Familien, Ehepartnern, frisch verliebten Paaren und Söhnen, die ihre alternden Mütter in Rollstühlen apathisch vor sich herschieben ausgeübt wird und der körperlichen Ertüchtigung, seelischen Entspannung und geistigen Kontemplation dienen soll. Je nach körperlicher Fitness der Beteiligten kann dieser Spaziergang zwischen 20 Minuten und 3 Stunden dauern, der abschließende Besuch einer Gaststätte zum Behufe des Kuchen-, Pils-, und Jägerschnitzelverzehrs ist obligatorisch und bildet den Höhepunkt dieser Veranstaltung.
Saison[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Obwohl der Sonntagsspaziergang theoretisch 52 mal im Jahr ausgetragen werden kann, ist besonders in der Frühlingszeit Hauptsaison für diese Veranstaltung. Nach einem langen, grauen Winter zieht es die graugesichtigen Menschen bei den ersten sonntäglichen Sonnenstrahlen schaarenweise ins nächste Naherholungsgebiet. Vom winterlichen Leben noch etwas ungelenk und steif in den Gliedern raffen sich die Menschen aus ihren überheizten Wohnungen und Einfamilienhäusern auf und invasieren wandernderweise die Umgebung ihrer Behausungen und es ensteht gelegentlich der Eindruck, ein ganzes Stadtgebiet sei evakuiert und die Bewohner an den nächstgelegenen See verfrachtet worden worden. Im Sommer lässt die Teilnahme an dieser Veranstaltung dramatisch nach, da die Menschen sich lieber sitzender- oder liegenderweise in Biergärten und auf Sommerwiesen niederlassen und den hohen Temperaturen durch die Zufuhr von Weizenbier, Grillgut und Mineralwasser trotzen. Erst wenn im Herbst die hohen Temperaturen nachlassen, nimmt die Teilnahme am Sonntagsspaziergang wieder zu, bevor sie im Winter nahezu vollends versiegt und die Veranstaltung nur noch von wirklichen Naturfreunden weiter betrieben wird. Die drohende Klimakatastrophe lässt aber befürchten, dass sich der Sonntagsspaziergang in naher Zukunft auch über die 12 Sonntage des meteorologischen Winters erstrecken wird, was der Natur die Möglichkeit zur Rekonvaleszenz von der sonntäglichen Invasion nehmen und die drohende ökologische Katastrophe in den Naherholungsgebieten befördern wird.
Austragungsort[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Beliebte Austragungsorte dieser Veranstaltung sind besonders Stadtparks, Seen, Tümpel und Wälder mit Naherholungseffekt. Kriterien für einen geeigneten Austragungsort sind u.a. die kinderwagen- bzw. stöckelschuhgerechte Beschaffenheit der Gehwege, die ausreichende Frischluftzufuhr der Wandernden, das Vorhandensein einer Ausflugsgaststätte sowie die Existenz ausreichend vorhandener Parkplätze für die Familienkarossen, Motorräder und Cabriolets. Am populärsten sind sicherlich Seen, die bei mäßigem Schritttempo in ca. einer Stunde umrundet werden können; so hat der Spaziergänger immer sein absehbares Ziel vor Augen und kann den Anfangspunkt der Exkursion so wählen, dass sie in der Ausflugsgaststätte endet oder auf halbem Wege von einem stärkenden Besuch in derselbigen unterbrochen wird.
Störende Faktoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Hauptstörfaktoren beim Sonntagsspaziergang sind neben dem Restalkohol der verkaterten Ehemänner bzw. Lebenspartner vom Vorabend sicherlich die herumwuselnden Jogger und leinenlose Hunde, die sich durch die völkerwandernden Menschenmassen drängen, undiszipliniert rechts, links oder mittendurch überholen und oftmals eine gesittete Fortbewegung unmöglich machen. Mountainbike-Terroristen gefährden die Sicherheit der Wandertouristen, kollidieren mit den Rollstüheln und Kinderwägen und werden mit Flüchen und Beschimpfungen bedacht. Auch der Unwille bzgl. der Teilnahme an dieser Veranstaltung der noch mit ihrem Restalkohol kämpfenden Männer trübt die sonntägliche Freude des Spaziergangs und mündet immer wieder in Diskussionen ob des Schritttempos bzw. der Länge des zu bewältigenden Parcours.
Ausrüstung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Neben einem geländegängigen Kinderwagen, festem aber modischem Schuhwerk, leichter Wanderbekleidung und einer prall gefüllten Kühltasche ist vor allen Dingen die Wahl der richtigen, den aktuellen Modekriterien entsprechenden Sonnenbrille entscheidend für eine erfolgreiche Teilnahme am Sonntagsspaziergang. Die Schrittrichtung um den See bzw. durch den Wald wird von den Sonntagsspaziergängern vorzugsweise gegen die Sonne gewählt, sodass das Tragen einer schicken Sonnenbrille gerechtfertigt ist und nicht als rein modisches Attribut entlarvt werden kann. Für Kinder, die des Fahrradfahrens schon mächtig sind, sollte ein leichtes Kinderfahrrad mit oder ohne Stützräder gewählt werden, das Verkehrsaufkommen wird dadurch zwar zusätzlich gesteigert, doch das Huckepacktragen der kleinen Nervensägen kann so von den erschöpften Eltern umgangen werden und der Fitness-Effekt für den meist übergewichtigen Nachwuchs ist eine willkommene Nebenerscheinung.
Die Ausflugsgaststätte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wie schon erwähnt, bildet der Besuch dieser Gaststätte für viele Teilnehmer den Höhepunkt der sonntäglichen Veranstaltung. Nach spätestens 45 Minuten des Spaziergangs sind die prophylaktischen Inhalte der Kühltaschen geleert und der knurrende Magen bzw. trockene Hals fordert Nachschub in Form von Apfelkuchen, Obst- und Sahnetorten, Leberkäse, Jägerschnitzel, Kaffee, Weizenbier und süßen Limonaden für die Kleinen. All diese Bedürfnisse können in dem Ausflugslokal - welches seine Monopolstellung schamlos ausnutzt - zu überhöhten Preisen befriedigt werden und an den im Freien bereit gestellten Tischen und Bänken sieht man die Ausflügler mit zufriedenem Gesichtsausdruck schlemmen und trinken. Die Menge der aufgenommenen Nahrungs- und Genussmittel steht dabei in direktem Zusammenhang mit der bewältigten Wegstrecke und so mancher Spaziergänger absolviert einen zusätzlichen Kilometer, um den Konsum eines zusätzlichen Weizenbiers oder eines weiteren Stücks Schwarzwäder Kirschtorte vor sich und dem Lebenspartner zu rechtfertigen.
Diese Gaststätten werden von überforderten, nur für diesen Tag eingestellten Aushilfskräften bekellnert, verfügen aber meistens auch über einen Selbstbedienungsbereich, an dem sich lange Schlangen von ungeduldigen, weil hungrigen und durstigen Spaziergängern bilden. Für die Ehemänner und Lebenspartner mit Restalkohol bietet der nachmittägliche Konsum von Alkohol die Chance, den Kater einzudämmen und die Entzugserscheinungen abzumildern. Unter dem Deckmantel der körperlichen Ertüchtigung bietet der Sonntagsspaziergang somit auch die Möglichkeit zur gesellschaftlich legitimierten Suchtpflege.
Gesellschaftliche Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Stellenwert des Wochenendes nimmt zwar in unserer Gesellschaft durch die dauerhafte hohe Arbeitslosigkeit immer weiter ab, doch da in Deutschland immer noch ca. 27 Millionen Menschen einer geregelten Arbeit im 5-Tage-Rhytmus nachgehen, gehört der Sonntagsspaziergang zum Wochenplan des auch in seiner Freizeit nicht faulenzenden Werktätigen einfach dazu. Für Familien mit Kindern bietet diese Veranstaltung die Möglichkeit, nach außen hin Zusammengehörigkeit und Harmonie zu demonstrieren bzw. suggerieren und die Begegnung befreundeter Familien in den Naherholungsgebieten fördert das gesellschaftliche Zusammenleben. Für Söhne und Mütter bietet der Spaziergang die Chance, sich einmal ungestört über die ungeliebte Ehefrau bzw. Schwiegertochter zu unterhalten und der Sohn kann sein schlechtes Gewissen ob der Abschiebung seiner Mutter in ein Altersheim zummindest für ein paar Stunden etwas beruhigen. Für frisch Verliebte ist der Sonntagsspaziergang eine willkommene Bereicherung ihrer noch unerforschten Schnittmenge und bei der gemeinsamen Umrundung eines Sees entdecken die potentiellen Fortpflanzungspartner aneinander typische Eigenschaften sowie liebens- oder verachtenswerte Angewohnheiten. Gelegentlich beobachtet man auch Liebespaare, die sich abseits der Wanderwege in die Büsche werfen und erste, zaghafte Zärtlichkeiten austauschen.
Während des Spaziergangs gelingt es einigen Teilnehmern trotz des hohen Geräuschpegels tatsächlich, zur Ruhe zu kommen, die Gedanken schweifen zu lassen und einmal nicht an berufliche Verpflichtungen, faule Aktienpakete, unbediente Kredite, Eheprobleme oder die katastrophalen schulischen Leistungen ihres Nachwuchs zu denken, sondern sich für ein paar stille Minuten auf den Einklang von Körper, Geist, Seele und Natur zu besinnen.
Kollateralschäden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Es gibt immer wieder Sonntagsspaziergänger, die ihre körperliche Konstitution falsch einschätzen und bei der Wahl des zu bewältigenden Parcours ihre Herzrhythmusstörungen, den zu hohen Blutdruck oder das chronische Hüftleiden außer Acht lassen. Auf halbem Wege geraten diese Teilnehmer in Atemnot, fassen sich an ihre Herzschrittmacher und müssen an den Wegrändern pausieren, um neue Kraft für die noch ausstehende Wegstrecke bis zum rettenden Ausflugslokal zu schöpfen. Immer wieder sieht man dahinsiechende Ausflügler, die sich auf umgestürzten Bäumen zur Ruhe legen, als hätten sie mit sich und dem Sonntagsspaziergang abgeschlossen. Es gibt auch Familien, die in ihrer Kühltasche kleine Verbandskästen mit sich führen, falls die Kinder mit ihren Fahrrädern mal wieder einen Baum touchiert haben sollten, sich beim unbefugten Herumklettern auf demselbigen verletzen oder von einem herumstreunenden Hund gebissen worden sein.
Ökologische Konsequenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Natur in den Naherholungsgebieten leidet sehr unter der sonntäglichen Vökerwanderung und viele Vogelarten sind durch den Sonntagsspaziergang vom Aussterben bedroht. Inzwischen meiden viele Zugvögelarten die Austragungsorte und suchen sich lieber Brut- und Nistplätze abseits des sonntäglichen Wahnsinns. Aber auch Wildschweinfamilien, die von den Forstämtern durch Warnschilder und Drahtzäune vor den gaffenden und fotografierenden Spaziergängern eigentlich geschützt sein sollten, werden durch die Invasion ihres Lebensraumes von plappernden Menschen mit ihren kreischenden Kindern traumatisiert und geschädigt. Zusätzlich entsorgen viele ökologisch unbewusste Menschen die Abfälle aus ihren Kühltaschen achtlos in der Natur und ignorieren die bereit gestellten Mülleimer in den naturgeschützen Gebieten. Millionen von Ameisen und Kleinstorganismen werden allwöchentlich von dem Timberland-Schuhwerk der Wandertouristen zertreten, haben aber keine Lobby, die sie vor diesem Genozid schützen würde. Aber auch die bei der An- bzw. Abreise zum Sonntagsspaziergang erzeugten Auspuffgase der Familienkutschen und Motorräder verpesten die Luft in den Naherholungsgebieten und tragen maßgeblich zu den schädlichen CO2-Emissionen bei.
Da viele Männer das Wildpinkeln als einen Höhepunkt ihres Sonntagsspaziergangs empfinden, ist der Waldboden in den Austragungsgebieten durch Harnsäure und Restalkohol kontaminert, was das ökologische Gleichgewicht in diesen ökologischen Nischen massiv aus der Balance bringt.
Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Sonntagsspaziergang ist insgesamt betrachtet eine gesellschaftlich bedenkliche Veranstaltung, die des Menschen Zwang zur Teilnahme an Massenveranstaltungen widerspiegelt. Statt sich Austragungsorte zu suchen, an denen man ungestört und einsam dem Drang zur Naturverbundenheit fröhnt, rotten sich die Menschen zusammen und laufen alle um den gleichen See bzw. durch den gleichen Wald, behindern sich dabei gegenseitig und ärgern sich über die asozialen Gewohnheiten ihrer Mitmenschen. Es ist dringend eine europaweit koordinierte gesetzliche Verordnung erforderlich, die den Ablauf sonntäglicher Spaziergänge reglementiert und eine Obergrenze an Teilnehmern pro Naherholungsgebiet festlegt, um die ökologische Zerstörung einzudämmen und den Erholungseffekt zu gewährleisten.
Gesetzliche Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Fahradfahrer sollten von den Spazierwegen gänzlich verbannt und der Leinenzwang für Hunde und schwer erziehbare Kinder mithilfe von Spaziergangspolizisten durchgesetzt werden. Auch die Einführung einer Ausflugssteuer wäre ein probates Mittel, die Folgeschäden dieser Veranstaltung einzudämmen, mit den eingenommenen Steuermitteln könnten neue Brut- und Nistgebiete für Vögel abseits der Menschenstöme erschlossen werden und Wildschweine könnten in Tierparks und Naturschutzgebiete umgesiedelt werden, um sie vor den vandalierenden Wald-, Wiesen und Seenbesuchern zu schützen.