Oberschicht
„Der Kapitalismus wird jene Entwicklungsstufe erreichen, wo sich die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals allzu deutlich herausbilden. Dann ist die Zeit des Proletariats gekommen, um den Fall der Bourgeoisie herbeizuführen.“
- ~ Karl Marx über die zu stürzende Oberschicht.
„Wenn es der Oberschicht gutgeht, geht es auch der Allgemeinheit gut.“
- ~ Guido Westerwelle über die zu fördernde Oberschicht
Als Oberschicht bezeichnet man jene Gruppe von Menschen, welche per se besser ist als der gewöhnliche Rest. Die sukzessive Heranbildung einer solchen Oberschicht innerhalb einer Gesellschaft folgt einer immer und überall wiederkehrenden soziologischen Gesetzmäßigkeit. Wie sich bei offener Milch nach einer gewissen Zeit oben eine Rahmschicht absetzt, so bildet sich innerhalb eines sozialen Gefüges ebenfalls früher oder später ganz automatisch eine fette, sich über der Allgemeinheit absondernde Schicht, die Oberschicht.
Vorkommen und öffentliches Auftreten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Das Verhalten von Personen der Oberschicht gegenüber der Öffentlichkeit ist ambivalent. Überwiegend achtet man allerdings in diesem Segment auf strikte Abgrenzung zur sonstigen Bevölkerung. Damit sie ihr besonders wertvolles Leben nicht mit den niederen Schichten teilen müssen, haben sich die Menschen der Oberschicht eigene Rückzugsrefugien geschaffen. Beliebte Aufenthaltsorte sind Pferderennbahnen, Golfplätze, Formel 1-Rennstrecken, Spielkasinos, Luxusjachten, Kunstauktionen, Museen, Modenschauen, Wellnesstempel und exklusive Boutiquen. Außerdem trifft man sie im Cockpit eines Segelfliegers oder als Weltraumtourist neuerdings sogar im All. Aber auch in der Praxis von Schönheitschirurgen, auf der Couch von Pschychologen, im Wartezimmer von Scheidungsanwälten oder auch in einer Drogenentzugsklinik sind sie durchaus präsent.
Wenn es ihnen langweilig wird, mischen sich die Damen und Herren der Oberschicht allerdings auch gerne mal unters gemeine Volk. Man trifft sie beispielsweise völlig überraschend am Würstchenstand um die Ecke oder auf Wohltätigkeitsveranstaltungen, um dort am Glücksrad zu drehen und sich als selbstlose Gönner der Menschheit zu präsentieren. Denn gerne gefallen sie sich in einer Rolle, wo ihnen allgemeine Anerkennung, Bewunderung und Dankbarkeit zuteil wird.
Erkennungsmerkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Seit jeher ist die Oberschicht bemüht, sich auch optisch als die Crème de la Crème der Gesellschaft zu präsentieren. War es in früheren Jahrhunderten üblich, sich durch möglichst farbenprächtige Kleidung vom gewöhnlichen Rest der Bevölkerung abzuheben, wird heute ein farblich eher dezentes Outfit bevorzugt. Wichtig ist vor allem das Label, die ganz bestimmte Marke. Nicht, dass die betreffenden Klamotten besonders chic aussehen würden, wichtig ist nur der kleine, dezente Sticker, der signalisiert, dass die betreffende Jacke, Hose oder Rock von einem berühmten Modezar kreiert wurde. Dass dieses Teil dann irgendwo in Südostasien von Kindern zu Dumpinglöhnen in einer 60-Stunden-Woche zusammengeschneidert wurde, ist in keinster Weise relevant.
Zu einem perfekten äußeren Erscheinungsbild gehört natürlich auch die entsprechende Frisur. Vor allem die vornehme Dame läßt sich gerne und häufig die Haare stylen und es soll schon vorgekommen sein, dass sie nach einem ausgedehnten, mehrstündigen Friseurbesuch zu Hause nur noch mit größter Mühe wiedererkannt wurde. Dazu ein solariumgebräunter Teint und manikürte Fingernägel - fertig ist die Dame von Welt!
Legitimierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Früher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
In früheren Jahrhunderten bestand die Oberschicht aus Feudalherren, Adel, tapferen Feldherren, Großgrundbesitzern und dem Klerus. Man legitimierte sich über kirchliche Edikte und gab vor, von Gott selbst diesen einzigartigen Status übertragen bekommen zu haben. Ein Aufbegehren gegen diese unbeliebte, weil blutsaugende Obrigkeit war strengstens untersagt und galt als schwere religiöse Verfehlung. Wollte man nicht der ewigen Verdammnis anheim fallen, mußte man es sich gefallen lassen, zur Sühne eingekerkert und anschließend gevierteilt zu werden.
Heute[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Laufe der Zeit wurden die Menschen aufgeklärter und die Oberschicht mußte ihre Methoden, sich zu legitimieren, nach und nach verfeinern. Heute wird die Öffentlichkeit durch die Massenmedien, die sich überwiegend im Besitz der Oberschicht befinden, nach deren Vorstellungen manipuliert. "Geld regiert die Welt" ist nun das Motto und mit Gewinnsendungen wie "Wer wird Millionär?" wird z.B. den Zuschauern suggeriert, auch sie könnten mit etwas Glück und Geschick in die so erstebenswerte Oberschicht aufsteigen. Bei der Ziehung der Lottozahlen werden zwar wöchentlich neue Millionäre gekürt. Dass es aber keine wundersame Geldvermehrung gibt, sondern die Allgemeinheit der Spieler für die Supergewinne Weniger bluten muß, wird geflissentlich verschwiegen. "Haste was, dann biste was" lautet die Devise und all die anderen Werte, die eigentlich eine Gesellschaft prägen sollten, werden aus dem öffentlichen Bewußtsein weitestgehend verdrängt.
Zukunftssicherung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Um ihre gesellschaftliche Poleposition auch in Zukunft innehaben zu können, hat die Oberschicht diverse Sicherungsstrategien entwickelt. Die wichtigste hierbei ist, dafür Sorge zu tragen, dass immer genügend Kapital aus der Unter- und Mittelschicht extrahiert werden kann. Dieses wird anschließend für diverse persönliche Anschaffungen und den Erwerb vermeintlich benötigter Persönlichkeitsprothesen verwendet. Der nicht benötigte Rest wird klammheimlich ins Ausland transferiert.
Für diese Kapitalextraktion haben sich diverse Strategien als erfolgreich erwiesen.
- Betreiben einer Firma als Kapitalgesellschaft unter weitgehendem Ausschluß der Eigenhaftung. Bezahlung von Minilöhnen an überwiegend osteuropäische Leiharbeiter, aber umso größere laufende Kapitalentnahmen für den Eigenbedarf. Droht letztendlich der Konkursfall, werden weitere Gelder abgeschöpft um dann zur Rettung von Firma und Arbeitsplätzen öffentliche Finanzspritzen zu beantragen.
- Als Top-Manager eines großen Konzerns läßt man sich einen Teil des Gehalts als Aktienoptionen auszahlen. Dann tätigt man riskante Geschäfte, um im Erfolgsfall den Wert der Optionen um ein Vielfaches zu steigern. Wenn es schiefläuft, geht man mit einer millionendicken Abfindung in den Ruhestand.
- Wem das alles zu anstrengend ist, der läßt sich über einen sicheren Listenplatz einer Partei in den Bundes- oder einen Landtag wählen. Dort kassiert er als Hinterbänkler viel Geld für wenig Arbeit und erhält zudem eine üppige Altersabsicherung.
Damit der finanzielle Status der Oberschicht der Allgemeinheit gegenüber auch auf einer moralisch fundierten Grundlage steht, wird dem gewöhnlichen Rest immer wieder auf raffinierte Weise eingetrichtert: Wir arbeiten hart und sind besser als alle anderen und haben uns deshalb die Millionen mehr als redlich verdient.
Sozialer Aufstieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Da wir in einem offenen System leben, ist es theoretisch für jedermann möglich, in die Oberschicht aufzusteigen. Genauso soll es in seltenen Fällen möglich sein, aus der Oberschicht abzusteigen. Solche Schichtwechsel sind aber in der Praxis äußerst unwahrscheinlich und bis jetzt nur zwischen Unter- und Mittelschicht überliefert. Folgende Möglichkeiten sind vorhanden, um sich in die so begehrte Oberschicht zu katapultieren:
- Man könnte eine riesige Summe Geld erben bzw. gewinnen, was aber nicht zwangsläufig die gesellschaftliche Anerkennung garantieren würde.
- In die Oberschicht hineingeboren zu werden stellt immer noch den sichersten und unproblematischsten Einstieg dar.
- Durch eine Karriere in Politik, Wirtschaft oder Sport sich seinen Platz "ehrlich zu erarbeiten".
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Franz-Ferdinand von Walraff: Eure Armut kotzt mich an - Süffisante Anekdoten über die Unterschicht. Liechtenstein 2005, ISBN 4-7793-3369-8
- Edeltraud Sorgenfrei: Du und das Gesindel. oder: Warum Du etwas Besseres bist. Kinderbuch. Hautevolee Verlag 1993, ISBN 0-2810-7247-7