UnBooks:Die Vorweihnachtsgeschichte
15.10.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Heute war ich einkaufen. Beim EDEKA um die Ecke. Eigentlich dachte ich, es würde ein ganz normaler Herbsttag werden. Verpennt, Anschiss vom Abteilungsleiter kassiert, Rechner abgeschmiert, der normale Wahnsinn eben. Aber als ich dann so langsam Richtung Kasse ging - den nörgelnden Balg von der Harz IV Schlampe im Straßennuttenlook konsequent ignorierend - habe ich sie gesehen: In Reih und Glied standen sie da bei der Kasse. Diese widerwärtigen rotbemantelten Sackträger. Weihnachtsmänner oder Nikoläuse oder wie man sie nennen mag aus Schokolade. O.k. o.k., eigentlich habe ich ja gar nichts gegen Weihnachten. Aber jetzt schon! Ich meine, es ist doch noch nicht mal Winter.
20.11.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Heute kam Helga von der Buchhaltung in mein Büro. Sie wollte für die Betriebsweihnachtsfeier sammeln. Und natürlich auch die verbindliche Zu- oder Absage für den Termin haben. Klar, Betriebsweihnachtsfeier, wer sagt da schon so weit im Voraus ab, insbesondere, wenn er immer noch glaubt, bei solchen Veranstaltungen aufzulaufen würde Bonuspunkte bei der Geschäftsführung einbringen. Und während ich noch den Hustenreiz unterdrücke den die Primärduftwolke ihres Parfüms bei mir verursacht, krame ich unter ihrem strengen Blick schnell noch einen zweiten Zehner aus meinem Portemonaie, während ich irgendetwas vor mich hin nuschele. Betriebsweihnachtsfeier - als ob es nicht reichen würde, dass ich diese ganzen geistlosen Idioten hier jeden Tag auf der Arbeit sehen muss.
30.11.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Habe heute Krach mit meiner Freundin. Eigentlich liebe ich sie ja, aber spätestens ab Ende Oktober ist sie für nichts mehr zu gebrauchen. Jetzt schon voll im Weihnachtsstress. Lichterketten hier, Strohsterne da und zum Abschluss noch ein neuer Christbaumständer. Ich habe sie gefragt, wofür wir den eigentlich brauchen, schließlich habe ich vor zwei Jahren, als wir zusammengezogen sind, einen neuen gekauft. Sie hat gesagt, das wäre das neueste Modell und Heidi Klum hätte auch so einen. Das habe sie in der Cosmopolitan gelesen. Und ich habe sie gefragt, ob man dann wirklich 200 € für etwas ausgeben müsste, nur weil irgendwelche Promis 20.000 € dafür gekriegt haben, zu sagen, dass sie so etwas auch haben. Papier sei geduldig. Naja, jedenfalls hat sie mich dann angeschrien, ich wäre nur zu geizig, ihr mal etwas Schönes zu gönnen und wenn es nach mir ginge, wäre die einzige Dekoration in der Wohnung meine getragenen Socken. Dann ist sie ins Bad gerannt und hat sich eingeschlossen. Drei Stunden lang. Sie ist erst rausgekommen, als ich ihr angedroht habe, in den Kübel mit dem Farn ihrer Großmutter zu pinkeln. Dann hat sie den ganzen Tag nicht mehr mit mir gesprochen.
02.12[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jetzt war auch noch Heidi da, wegen der Abteilungsweihnachtsfeier. Einen Tag vor der Betriebsweihnachtsfeier und einen Tag nach der Vereinsweihnachtsfeier. Verdammt, wie soll ich das denn regeln. Nüchtern von der Vereinsweihnachtsfeier zu kommen geht nicht, das lassen die Vereinsbrüder nicht zu. Verkatert auf die Betriebsweihnachtsfeier kommen - na dann haben unsere Chefzäpfchen gleich wieder was zu klatschen. Und mit Glühweinstandarte auf die Betriebsweihnachtsfeier - oh weia, sieht aus, als stünde ich vor einem echten Dilemma. Na, immerhin, Tanja redet wieder mit mir. Hat mich ja auch nur vier Plastikrentiere mit lächerlichen roten Knollennasen gekostet. Die stehen jetzt im Wohnzimmer um den Fernseher rum.
05.12.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
War heute auf dem Weihnachtsmarkt. Musste sein. Hab's Tanja versprochen gehabt. Fuffzig Kilomter lang Ras nicht so! - Fahr nicht so dicht auf! - Bremmmssss! - na ein Glück, dass wir in den Urlaub immer fliegen. Jedenfalls, drei Stunden durch den verdammten Nieselregen gestiefelt um am Ende zwei Muskatnüsse und einen Käsehobel zu kaufen. Handgearbeitet von blinden weißrussischen Waisenkindern ohne Hoffnung auf ein besseres Leben. Na kein Wunder, wenn das Ding förmlich made in China schreit. Bin mir absolut sicher, genau das gleiche Ding bei Aldi für einen Bruchteil des Preises gesehen zu haben. Aber ich habe nichts gesagt, um sie nicht zu verärgern. Das ist mir dann später aber auch so gelungen, als ich mir ein Bier genehmigen wollte und sie meinte mich daran erinnern zu müssen, dass ich außer Fressen und Saufen nichts im Kopf habe. Habe Sie dann gefragt, ob sie auch ne Bratwurst will, hatte sie nein gesagt. Als ich die Wurst dann am Futtern war, wollte sie ständig mal abbeißen. Tja, und als ich sie dann gefragt habe, warum sie nein gesagt hat, als ich ihr eine mitbringen wollte, hat sie halbhysterisch über den halben Marktplatz gekeift. Ein Glück, dass mich hier keiner kennt. Ich glaube, ich besuche heute abend mal meinen alten Kumpel Bennie.
06.12[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Als ich heute morgen aufgewacht bin, hatte ich einen Schädel wie ein Heißluftballon. Habe versucht, von Bennies Couch herunterzusteigen ohne Krach zu machen. Hätte es mir sparen können. War schon halb zwölf. Bennie war längst auf der Arbeit und in der Küche lagen ein paar Aspirin und ein Teller mit zwei eiskalten Spiegeleiern und Rollmöpsen. Weiß nicht, wie er es schafft, nach so einer durchzechten Nacht am nächsten morgen pünktlich aufzustehen. Auch egal, erst mal in der Firma angerufen um mich krank zu melden. Die Meier am Telefon, blöde alte Abteilungssirene. Hoffe, ein paar Aspirin werdens richten.
Wie ich so mit verquollenen Augen durch die Stadt gefahren bin, fiel es mir noch siedendheiß ein. Nikolaustag. Tanja liebt diesen Tag. Also hab ich schnell noch bei ARAL gehalten und ihr ein Sträußchen Blumen und so 'nen blöden umgeschmolzenen Schokoladenosterhasen gekauft. Mich würde mal interessieren, wie oft man diesen Vorgang wiederholen kann.
Zu Hause waren dann drei Freundinnen von Tanja und ihre Mutter. Nikolauskaffee. Scheiße, da hatte ich so gar nicht dran gedacht. Und Tanja hat mich auch nur böse angeguckt. Und als ich ihr dann die Blumen und die Schokolade hingehalten habe, hat sie nur noch losgebrüllt, ob ich mir einbilde, mit so ein paar lausigen Stängeln und Billigschokolade gutes Wetter bei ihr machen zu können. Und das mir meine blöden Kumpels wichtiger wären als sie und ich ein Idiot wäre... Alles in allem keine schöne Szene, besonders dann nicht, wenn vier frustrierte Weiber im Koffein- und Zuckerrausch im Takt zu ihrem Geschrei mit dem Kopf schütteln. Ich glaube, ich frage Bennie, ob ich noch ein paar Tage auf seiner Couch pennen kann.
10.12[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die paar Tage auf Bennies Couch habens echt gebracht. Er war schon immer der Meinung, Jack Daniels sei der beste Psychiater. Ist was dran. Werde mir das von meiner Alten nicht mehr bieten lassen, bin ja kein Fotzenknecht.
Und wie ich mir das so selber schwöre, klingelt auch das Telefon. Tanja bittet mich zurückzukommen. Wow, mein Handyakku ist seit Tagen leer und wenn Tanja sich schon überwindet, Bennie aufs Festnetz anzurufen, dann muss es ihr schon wirklich ernst sein.
Habe dann - unter dem missbilligenden Blick meines Kumpels - meine spärliche Habe zusammengepackt und mich eilig vearbschiedet. Im Rausgehen hörte ich ihn dann noch etwas murmenln. Nichts Nettes nehme ich an.
14.12.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Oh, Mann, die Vorweihnachtszeit. Vier Tage in Folge mit Wham aufgewacht. Das hat der Radiowecker nicht überlebt. Tanja meinte nur, ich wäre überhaupt nicht romantisch. Jetzt summt sie den Song den ganzen Tag vor sich hin. Um mich zu ärgern, nehme ich an. Gestern hatte ich nämlich vergessen, dass wir mit Sybille und Thorsten zum
Abendessen in diese neue Pizzeria gehen sollten. Nein, nicht neue Pizzeria, ein echt italienisches Ristorante; wie Thorsten mir dann erklärte. Alter Pedant. Aber ich glaube, als Gymnasiallehrer wird man mit der Zeit einfach so. Kann ihn eh nicht leiden, aber Sybille ist halt Tanjas beste Freundin.
Na ja, waren halt mit zehn Minuten Verspätung da, natürlich alles meine Schuld. Später dann, bei Dulce und Chianti, ist Thorsten dann auf die Knie gerutscht und hat Sybille einen Heiratsantrag gemacht. Sooo romantisch. (Als ob ich den Blick von dir nicht bemerkt habe, Schatzi.) Und zur Feier des Abends, hat meine Freundin dann beschlossen, dass wir, also ich, die Rechnung übernehmen. Als vorgezogenes Verlobungsgeschenk sozusagen. Immerhin weiß ich jetzt, worin der Unterschied zwischen einer Pizzeria und einem Ristorante besteht: Im Ristorante ist die Pizza halb so groß, aber doppelt so teuer, wie in der Pizzeria. Bewundernswert ökonomisch.
15.12.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Oh, Mann, überall glitzert und blinkt es. Weihnachtsdeko überall, in der Fußgängerzone hat mich heute so ein Psycho bestimmt zwei Kilometer mit seiner Sammeldose verfolgt. Sein Slogan, den er jedem Spendenunwilligen hinterhergeschrien hat:„Mit jedem Euro, den du nicht spendest, schaufelst du ein winzig kleines Grab für ein Baby in Armenien!“ Und? Mir doch egal. Weiß nicht mal, wo das eigentlich liegt.
Wie dem auch sei, von der Arbeit heimgekommen, tatsächlich ein Weihnachtsgeschenk für meine Alte gefunden (nicht, dass seltsamerweise immer der gleiche Schuhgeschäftsprospekt mit dem angekreuzten Modell und der angekreuzten Schuhgrösse immer dagelegen hätte, wo ich ihn garantiert finde), ist es wohl ein bisschen Zeit zum Entspannen gewesen. Aber sowie ich den Fernseher einschalte, krieg ich wieder die Krise:„Spenden Sie jetzt!“, „Werden Sie Pate!“, „Für nur 5€ im Monat retten Sie ein ostindisches Waldkamel“. Nä, nich' mit mir. Computer hochfahren, Erst ma gucken, was ein ostindisches Waldkamel eigentlich ist. Und wie ich die Wikipedia einschalte, glotzt mich Jim Wales mit betroffener Miene an und will auch noch meine Kohle. Och, lass mal, Alter.
Wie ich dann so gesurft bin, immerhin ein Lichtblick:
Auch wenn ich über Vieles, was diese Möchtegernhumoristen da von sich geben, so gar nicht lachen kann.
Meine Stimmung hellt sich allmählich wieder auf, aber dann kommt natürlich schon der nächste Dämpfer: Meine Süße kommt rein. „Liebling, hattest du einen schweren Tag?“ flötet sie.
„Geht so“, antworte ich vorsichtshalber.
„Dann komm mal ganz schnell in deine allerbeste Vorweihnachtslaune“, säuselt sie weiter, „meine Eltern haben uns auf Heilig Abend zu sich eingeladen. Mutti macht wieder ihren leckeren Lachs-Spinat Auflauf.“
Na, ja, ich habe sie dann darauf hingewiesen, dass wir vereinbart hatten, diesen Heilig Abend zu Hause zu bleiben, 1. Weihnacht zu meinen Eltern zu fahren (200 km) und von dort auf 2. Weihnacht zu ihren Eltern fahren (vier Straßen weit von unserer Wohnung weg). Außerdem hasse ich den Lachs-Spinat Auflauf ihrer Mutter, den es jedes Jahr an Heilig Abend, Ostern und Fronleichnam gibt.
Es endete wie immer. Tanja fängt an zu heulen und zu keifen und rennt aus der Wohnung. Nur dieses Mal kann sie sich ausquartieren. Soll sie doch zu ihrer Mutter rennen, ist mir auch egal.
17.12[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Tanja war heute wieder da. Sie hat mich sogar zur Vereinsweihnachtsfeier gefahren. Aber unter der Bedingung, mich in drei Stunden wieder abzuholen. Soll mir recht sein. Habe schließlich noch zwei Feiern vor mir. Sie fährt dann zu der Weihnachtsfeier von ihrer Agentur. Sie habe auch keine Lust auf die Zicken sagt sie.
Ich frage mich nur, was sie bewogen hat so schnell zurückzukommen. Na, vielleicht hat Sybille ein gutes Wort für mich eingelegt, die habe ich gestern Nachmittag beim Juwelier getroffen.
Ach übrigens, wir fahren auf zweite Weihnacht zu meinen Eltern.
19.12.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Oh geil, die Weihnachtsfeiern sind vorbei und ich habe es geschafft, mich nicht zu blamieren. Bis auf einen leichten Tremor geht es mir auch ganz gut. Die Vereinsweihnachtsfeier habe ich überstanden, indem ich jedes Bier, dass ich in die Hand gedrückt bekam, heimlich in die Pflanzkübel geschüttet habe. So nach zwei Stunden hatte die Partystimmung eh ihren Zenit überschritten, als der dicke Horst (200kg) anfing, auf dem kalten Buffet Kasatschok zu tanzen. Sah für etwa zehn Sekunden ganz interessant aus, dann ist der Tisch zusammengeklappt. Horst wird wohl gegen Ende April mit der Reha anfangen können.
Auf der Abteilungsfeier gab es nur alkoholfreies Bier und einen Prosecco pro Kopf. Anordnung von Hansen unserem Abteilungsleiter. Ihm ist wohl noch ziemlich gut in Erinnerung geblieben, wie seine Tochter dem Kollegen Niemeyer auf der Feier letztes Jahr einen geblasen hat (dass ich es war, der damals in seinen Aktenkoffer gekotzt hat, kann er unmöglich gesehen haben).
Auf der Feier der Gesamtfirma war ich gar nicht. Dringender Notfall zu Hause. Meine Oma ist im Bad ausgerutscht und hat sich die Hüfte gebrochen. Komisch, dass noch nie jemandem aufgefallen ist, dass sie das öfter tut und auch schon drei Mal gestorben ist. Idioten.
24.12.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
17:00. Wir gehen durch diesen beschissenen Schneematsch zu Tanjas Eltern. Weiße Weihnacht nennen diese Weihnachtstrottel das. Erstens mal ist der Schneematsch hier in unserer wunderschönen Industriestadt schon grau, wenn er am Boden ankommt, zweitens ist mir heute Morgen so ein idiotischer Sommerreifenfetischist in die Karre gerutscht. Und als der dumme Bulle dann noch etwas von na kommen Sie, ist schließlich Weihnachten faselte, habe ich mir gleich noch eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung eingehandelt. Weihnachten. Geil.
18:00. Lachs-Spinat Auflauf. Zwei Portionen reingewürgt und mit reichlich von diesem pisssüßen Discounterwein runtergespült. Alle „Schatz trink nicht so viels“ geflissentlich ignoriert.
19:00 Bescherung. Nachdem alle Schwiegermutters stilvoll dekorierten Christbaum ausgiebig bewundert hatten (Oh, Mutti, unserer ist nicht halb so schön und auch viel kleiner - spar dir den Blick, Schwiegerdrache in spe), und ihn mit der ersten Strophe dreier verschiedener Weihnachtslieder angesungen haben (Habe mir derbe Beleidigungen von meinen Schwiegervater in spe eingefangen. Kannte das Lied Es ist ein Ros entsprungen nicht. Leck mich doch, du Arschloch), geht es dann an die Verteilung der Geschenke.
Lief auch alles ganz gut. Selbstgestrickte Socken, Krawatten und von Tanja ein Kochbuch für Männer. Tja, lief gut, bis ich ihr mein Geschenk überrreicht habe. Sie packt den Karton an und ihr Blick trifft mich wie ein Schlag mit dem Vorschlaghammer.
Meine Frage „Was ist denn, Schatz“ wird mit einer Schimpfkannonade beantwortet. Ich höre nur noch die Worte „Zwei Nummern zu groß“, „Sybille“, „Juwelier“, „Verlobung“ und einige Male „Mistkerl“ heraus. Untermalt wird das vom Blöken Tanjas Vaters und dem schrillen Gezeter ihrer Mutter.
Tja, liebes Tagebuch, was dann passiert ist, hat mir der Kripobeamte erzählt. Anscheinend habe ich sie alle mit einer Flasche des Discountweines erschlagen, die Wohnung angezündet, indem ich eine Flasche des erbärmlich stinkenden Altweiberparfüms von Tanjas Mutter über den Christbaum geschüttet habe und bin dann von zwei Nachtwächtern einer Bankfiliale überwältigt worden, als ich irre kichernd auf einen Spenden für Haiti sammelnden Nikolaus eingeprügelt habe, nachdem ich den Laden des Juweliers angezündet habe, bei dem ich meine Uhr reparieren lassen wollte.