UnBooks:Die Vorweihnachtsgeschichte II - Vorweihnacht im Frühjahr
Prolog[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Falls sich jemand gefragt haben mag, was aus dem namenlosen Protagonisten der Vorweihnachtsgeschichte nach seiner Einlieferung in die Nervenheilanstalt geworden ist, hier ist die Antwort. Mit alten Bekannten und 100%ig Vorweihnachtszeitfrei (obwohl, na ja, dauert ja auch nicht mehr lange...).
20.04[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Frei. Das Tor hat sich hinter mir geschlossen und der Pförtner hat sich mit einem lapidaren „Dann mach's mal gut da draußen“ verabschiedet. Braucht der sich keine Sorgen drum machen, hab' nix anderes vor. Fünf Jahre in der Psychiatrie, wegen der dummen Geschichte damals.
Aber jetzt haben die Damen und Herren Psychiater mir meine Ungefährlichkeit bescheinigt, mich für geheilt erklärt und mir ein Rezept für Trancopal ausgestellt, falls mich doch mal die Wut überkommen sollte. Einen Haufen gute Ratschläge, Adressen und Leitfäden haben sie mir mitgegeben. Arge, Hartz IV, Sozialwohnungen, noch mehr Psychiater.
So nach fünf bis zehn Minuten Suche fand ich dann meine Mitfahrgelegenheit. Benni, auf den ist immer Verlass. Hat mir damals bei der Verhandlung meine absolute Wahnsinnigkeit bescheinigt und das er's hat kommen sehen. Feiner Zug von ihm, denn ohne die Aussage hätte man mich nicht für unzurechnungsfähig erklärt und mich gleich in den richtigen Bau gesteckt. Aber so gings in die Psychofarm; armes Opfer der Umstände eben.
21.04.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Schädelbrummen, Lichtempfindlichkeit, die Zunge fühlt sich an wie 'ne tote Katze und schmeckt auch so ähnlich. Zumindest, wenn die tote Katze schon eine Weile in der Sonne gelegen hat. Also, alles wie immer, wenn ich auf Bennis Couch aufwache. Genau wie die Rollmöpse, eiskalten Spiegeleier und Aspirin auf einem Teller in der Küche. Es ist 10:00 Uhr. Noch eine halbe Stunde Zeit, zu duschen, sich anzuziehen und sich dann auf dem Arbeitsamt zu melden ohne dabei auszusehen, als hätte man die Nacht in 'nem Müllcontainer verbracht. Irgend 'ne Aushilfsarbeit und 'ne Sozialwohnung abgreifen. Danach beim Psychiater vorstellig werden und bei der Polizei. Ist wohl doch nicht so weit her, mit der Ungefährlichkeit.
So, der Tag im Schnelldurchlauf. Mit dem Bus in die Innenstadt. Hat ewig gedauert, ich hoffe ich kriege meinen Führerschein bald zurück. Am Arbeitsamt etwa drei Stunden gewartet, bis ich meine Audienz in einem muffigen Büro wahrnehmen durfte. Mir gegenüber eine Beamtin von etwa fünfzig Jahren, dem Diplom an der Zimmerwand zu Folge Diplom-Sozialarbeiterin. Muss sie wohl mächtig stolz drauf sein, ich habe auf meinen Studienabschluss als Diplom-Volkswirt jedenfalls nie so viel gegeben. Und mein Schreibtisch war auch größer. Jedenfalls bestand die Essenz ihres Engagements darin, mir einen Hartz IV-Antrag in die Hand zu drücken und mich darauf hinzuweisen, dass es schwer werden wird. Ich soll mich in einer Woche wieder melden. Fortbildungskurse, Reintegrationsmaßnahmen, Profilerstellung.
Und dann hat sie mir noch die Adresse vom nächsten Obdachlosenasyl in die Hand gedrückt, falls Benni seine Couch anderweitig untervermieten will.
Bei der Polizei - eine weitere Viertelstunde Busfahrt und dreißig Minuten Wartezeit später - saß ich einem gelangweilten Beamten gegenüber, der sich meine Story angehört hat, mein Anliegen zur Kenntnis nahm, mir einen Termin nächste Woche - minutengenau einzuhalten - gegeben hat und mich mit den Worten:„Und nicht vergessen, immer schön Ihre Pillen schlucken; ich habe dieses Jahr schon genug Leichen gesehen.“ verabschiedete. Tja, der Typ sah eigentlich aus, als käme er nicht oft an die frische Luft. Hat die letzte Leiche vermutlich letzten Sonntag im Tatort gesehen. Träumt vermutlich den ganzen Tag davon, wie es wäre, Horacio Cane zu sein und komplizierte Mordfälle am laufenden Band zu lösen. Kommt aber eher rüber wie der dicke Sesselfurzer aus'm Großstadtrevier.
Bei der Psychiaterin - eine halbe Stunde Busfahrt, eineinhalb Stunden warten - erlebte ich dann die erste positive Überraschung des Tages. Sie war jung, weiblich und hübsch. Dann ging alles seinen gewohnten Gang. Wie fühlen Sie sich? Wie war Ihr Tag? Irgendwelche Agressionnen? Heute schon Stuhlgang gehabt? (Man glaubt ja gar nicht, für was eine unregelmäßige Verdauung alles verantwortlich sein kann. L-Casein-haltigen Joghurt sollte es echt auf Rezept geben.) Ach ja, ich schreibe das alles hier eigentlich nur auf, weil mir die Psychiaterin empfohlen hat, ein Tagebuch zu schreiben, um mir meiner Emotionen bewusst zu werden und im Notfall die Reißleine - sprich mir ein paar von den Pillen einzuschmeißen - ziehen kann.
22.04[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wohnungen angeschaut. War nicht so erfolgreich. Schufa-Auskunft ging ja noch, hab' ja trotz allem noch keine Schulden. Aber als es dann um meine bisherige Adresse und mein momentanes Arbeitsverhältnis ging - Schicht im Schacht. No Entry.
Hat jedenfalls den ganzen Tag gedauert und am Abend kam ich zu dem Schluss, dass ich wohl doch noch auf die Wohnungen, die ich vom Amt ausgeduckt gekriegt hab' zurückgreifen. Als Benni das hörte fuhr er von der Couch auf und verkündete, das käme nicht in Frage. Er kennt da jemanden. Und zur Not, kann ich in sein Arbeitszimmer ziehen. Und für 'nen Job kennt er auch jemanden. Alles keine Sache. Ich hätte ihn umarmen und küssen können, wüsste ich nicht ganz genau, dass er mich zurückküssen würde. Mit der Faust genau in die Kauleiste.
30.04.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
So jetzt hab' ich 'n paar Tage Schreibpause gemacht. War stressig hatte wenig Zeit. Die Termine bei der Polizei und beim Psychiater locker abgesessen. Polizei, der gleiche gelangweilte Beamte - obwohl er diesmal eher einen auf Derrick zu machen scheint; zumindest hat er unter den Augen Tränensäcke wie Horst Tappert - gab mir nur einen weiteren Termin und machte seine Aktennotiz. Objekt erschienen, keine Auffälligkeiten. Die Psychiaterin gab mir den Rat, meinen Frieden mit der Vergangenheit zu machen und das Gespräch mit meinen Opfern und/oder deren Angehörigen und Hinterbliebenen zu machen. Mit einem Moderator oder ohne, was ich bevorzugen würde. Habe dann mit ihr ausgemacht, dass ich es mal bei Sibylle versuche, die war ja Tanjas beste Freundin. Das Ergebnis war etwas dürftig, denn kaum sah sie mich aus dem Taxi steigen fing sie an hysterisch zu kreischen. Glaube ich habe da so etwas wie Mörder, Unmensch und Mistkerl herausgehört. Dann kam Thorsten aus dem Vorstadthäuschen in den Vorstadthäuschenvorgarten und verwies mich mit der ganzen Autorität seiner sechzig Kilo auf 1,65 metern des Grundstücks. Na ja, ich nahm's gelassen. Die blöde Schlampe ist wohl noch nicht so weit. Und Thorsten - na lassen wir das. Er hat bestimmt genug Stress mit seinen Schülern.
Benni hat Wort gehalten und mir tatsächlich eine Wohnung besorgt. 50m2 Altbau, saniert. Hat mir auch die Kohle für die Kaution und die ersten beiden Monatsmieten geliehen. Nur mit dem Job dauert es noch eine Weile. Hat mich einem Kumpel vorgestellt, der meinte in zwei Monaten wird eine Stelle bei ihm auf'm Lager frei. Ob ich Computer kann. Excel und so. Klar, kann ich. Hab ich ja früher mein Geld mit verdient. Hat Bennis Kumpel, Milan, dann gesagt, mit der Bezahlung und so machen wir dann. Auf die Frage, was seine Firma eigentlich so macht hat er gesagt Import/Export. Klimageräte und so. Kann ich auch günstig Auto bei ihm kaufen. Oder Boot. Oder Elektronik.
Hab' mir dann von ihm einen alten Sprinter geliehen. Den Kram von der seit jetzt fünf Jahren gemieteten Lagerbox in meine neue Bude schaffen. Ist 200km weit weg, wo meine Eltern leben.
02.05.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Tag heute hatte es in sich. So lange ich noch nicht bei Milan arbeite, muss ich eben die Kurse vom Arbeitsamt mitmachen. Ging heute los mit Office für Anfänger. Auf meine leise zum Vortrag gebrachte Anmerkung, ich habe 15 Jahre lang mein Geld mit dem Beherschen von Office verdient, gab es von dem Sachbearbeiterdrachen mit Sozialwissenschaftsdiplom nur die Ansage, ohne den Anfängerkurs gäbe es keinen Fortgeschrittenen- und gleich gar keinen Profikurs. Und was soll dieses Six Sigma sein, von dem ich die ganze Zeit faseln würde. Sie hat mich dann noch für den Kurs „Erkenne dich selbst - Anleitung zur Stärkung der Persönlichkeit“ verpflichtet. Ich weiß nur noch nicht, ob das eine Strafe oder eine Hilfestellung sein soll... (nein, nein, ich bin nicht wütend. überhaupt nicht wütend. echt, kein bisschen. Die Pille hab' ich nur rein prophylaktisch eingeworfen.)
Der Kurs selber ... hmmm. Außer mir waren ein junger Mitbürger mit Migrationshintergrund zugegen und drei alleinerziehende Mütter, die sich für eine Halbtagsstelle als Buchhalterin qualifizieren wollten. Alle so zwischen siebzehn und zwanzig. Das „Ey, Obba, willsu krass Comppjuterkurs hier mach?! Alder schwöa isch, is' escht voll zu krass für alter Homie wie disch, du isch schwöa.“ hat mich nicht weiter gejuckt, dem Bengel ohne Hauptschulabschluss werden seine mangelhaften Deutschkenntnisse noch genug Hürden ins Leben stellen, aber das die eine von den jungen Schnallen mir erklärte, sie fände es sexy, wenn ein alter Mann, noch mal durchstarten will, stieß es mir doch ein wenig sauer auf. Erstens, ich bin nicht alt. Zweitens, durchgestartet hab ich schon, da hat das Blag noch in die Windeln geschissen. Und drittens stehe ich nicht auf so breite Gürtel (oder soll das ein Rock sein?) und riesige Nuttenkringel in den Ohren. Und fünf Zentimeter lange pinke Klauen kann ich auch nicht ab. Such dir deinen Sugardaddy woanders, habe weder Lust dich Drecksblag noch den Balg bei dir zu Hause durchzufüttern.
Tja, als es dann zur Sache ging hab' ich denen allen gezeigt, wo der Bartel den Most herholt. Hat nach fünf Jahren PC-Abstinenz zwar etwas gedauert, bis ich wieder wusste, was Sache ist, aber als der Schwörer noch versucht hat, seine abgespeicherte Mappe wiederzufinden und die Schicksenriege sich noch darüber beraten musste, welcher Pinkton am besten für einen Header geeignet ist, hab' ich dann mal die Tabellenkalkulation auf Fünftklässslerniveau in das Arbeitsblatt gehackt und dann ein Makro für Such- und Filterfunktionen reinprogrammiert. Der Kursleiter fand das dann nicht so toll. Woher sollte ich denn auch wissen, dass Anfängerkurs bedeutet, dass man einen Anfänger als Kursleiter kriegt?!
04.05.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
„Wenn du eine Superkraft wählen könntest, welche würdest du wählen? Und wie würdest du sie einsetzen?“ Die Tagesaufgabe des Selbsterfahrungskurses.Ich habe das dumme Gefühl, ich habe die Kursleiterin - mittlere Fünfziger, ausgeprägter Unterbauch, selbstgestrickter lila Poncho über einer fliederfarbenen Leggins - etwas überfordert. Meine Antwort: Superintelligenz, denn dann kann ich Geräte und Verfahren entwickeln, die mir die anderen Superkräfte, die die übrigen Kursteilnehmer sich ausgesucht hatten, ebenalls verschaffen und so jeden anderen Superhelden locker in die Tasche stecken. Was soll ich mit Superstärke, wenn ich erst lernen muss, sie zu dosieren (hat sich schon mal jemand Gedanken darüber gemacht, wie viele Rippen Superman seinen Eltern wohl gebrochen hat, wenn er sie als Kind umarmt hat?) oder betazoidischer Empathie, wenn ich so nahe am Wasser gebaut hab' wie die Trulla (mittlere Vierziger, ausgeprägter Unterbauch, lindgrüner selbstgestrickter Poncho, grasgrüne Leggins) die sich die ausgesucht hat? Braucht jemand eine Superheldin a la Superemogirl? Aber ich schweife ab. Fakt ist, wenn ich Superintelligenz habe, dann sind Superstärke, Supergeschwindigkeit und Telekinese und was die anderen Deppen sich so ausgesucht haben alles eine Sache der technischen, biologischen und psychologischen Umsetzbarkeit.
Was sie dann aber wirklich aus der Bahn geworfen hat, waren meine Ansichten zu dem Thema, was man mit Superkräften anfangen sollte. Aus großer Kraft erwächst große Verantwortung? Das funktioniert höchstens im Kino. Wer schlau ist, behält für sich, dass er oder sie Superkräfte hat und stellt sie nicht öffentlich zur Schau. Als Held bist du plötzlich nur der Depp für alles und darfst nicht al öffentlich furzen, ohne dass sich Medien darüber auslassen, dass du deiner Vorbildfunktion nicht gerecht wirst. Als Supeschurke fängst du dir das Burnoutsyndrom spätestens dann ein, wenn du der Herscher der Welt bist. Und sein wir mal ehrlich: Absolute Macht, die aus absoluten Superkräften resultiert korrumpiert auch absolut. Das ist dann allerdings zunächst mal das Problem all jener, die keine Macht haben.
Ich durfte mich dafür einen Macchiavellisten, einen selbstherrlichen gefühlsarmen Narzissten nennen lassen. War wohl doch nicht so weit her mit dem Love & Peace Button, den die Frauke (die Kursleiterin) da an ihrem lila Sack dran hatte. Zwei von den Wutpillen habens aber gerichtet.
08.05[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Werde mich heute abend wieder mit Benni treffen. So vom 6. bist 10. Mai ist er immer so down. Hab' nie so ganz verstanden warum eigentlich. Er murmelt auf die Nachfrage danach immer nur etwas, das sich nach fehlendes Nationalbewusstsein, mangelhafte Allgemeinbildung und Arschloch anhört. Aber was solls, eine Sitzung bei seinem Psychiater (Jack Daniels) wird's richten und für jemanden, der sonst überhaupt keine Psyche zu besitzen scheint, sind vier Tage Depression im Jahr vermutlich ein echtes Erlebnis.
Als er mich fragte, wie es mir so ginge, verwies ich darauf, dass ich im Zweifel einfach ein paar von meinen kleinen roten Freunden einwerfe. Seine Antwort darauf bestand in einer Hasstirade gegen chemische Zwangsjacken und mentaler Gleichschaltung. Am Ende warf er die Pillendose kurzerhand aus dem Fenster. Aber ich denke (und es sprach nicht nur der Whiskey aus mir) er hat Recht. Ich habe keine Lust, mich da in irgendetwas reinpressen zu lassen.
10.05.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Tag war mies. Erst macht der Hauswirt Stress. Treppenhaus vergessen. Der Bus zwanzig Minuten zu spät. Fahrkartenautomat kaputt. Schwarz gefahren und erwischt worden. 'Türlich steigt an der nächsten Haltestelle der Schaffner - Typ pensionierter Spieß - zu. Erwischt worden, sofort an der nächsten Halte raus und die Polente dazugerufen. Wer war dabei? Mein Lieblingsbeamter, der heute tatsächlich mal nach draußen durfte und sich dabei wie Harry Callahan gefühlt hat. Und als er erkannte, wer da seinen Tag macht, hatte er für die Formalitäten natürlich extra viel Zeit. Auf meinen Hinweis, dass ich gerade ohnehin auf dem Weg zu seiner Dienststelle gewesen bin und auf die Frage, ob wir uns das dann für heute schenken könnten, hat er nur dämlich gegrinst und die Ansage gemacht, dass ich mich trotzdem auf dem Revier melden müsste. O.k. dadurch zu spät bei der Psychiaterin angekommen und die diagnostizierte ein Problem mit Autoritäten. Klar, ein kaputter Fahrkartenautomat gibt mir noch lange nicht das Recht, zu hoffen, nicht beim Schwarzfahren erwischt zu werden. Und meine chronische Weigerung das Treppenhaus zu putzen ist für den Hauswirt natürlich nicht hinnehmbar und die Schelte seinerseits hab' ich mir redlich verdient. Und die Respektlosigkeit, zu spät zu meiner Sitzung zu erscheinen...ich glaube, ich werde Frau Dr. Lenker nächstes Mal ein Blümchen zur Entschuldigung mitbringen. Also morgen zur Sondersitzung.
11.05.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Mein Tag begann ähnlich wie der gestrige. Der Hauswirt tobt, habe mein Fahrrad zu dicht an der Fahrradkellertür abgestellt. Komisch, hat ihn fünf Tage lang nicht gestört. Im Briefkasten lag eine Vorladung, anscheinend haben Sibylle und Thorsten eine einstweilige Verfügung gegen ich erwirkt. Darf mich ihnen auf weniger als fünfhundert meter nicht nähern. Soll mir Recht sein, hatte eh nicht vor einen zweiten Anlauf zur Aussprache zu starten. Das andere Opfer, der Weihnachtsmannkomparse, ist unbekannt verzogen, ein Problem weniger. Neues Problem, die doofe Neutenreiter aus'm ersten Stock hat die Vorladung gesehen und daraufhin gleich bei der Kiebitz aus dem Erdgeschoss geklingelt. O.k. o.k. das ist alles nichts, worüber ich mich aufregen müsste. Nur der Mutterkomplex, den Frau Dr. Lenker ob der mitgebrachten Blumen diagnostiziert hat, sollte mir zu denken geben. Und dass ich ein pathologischer Lügner bin steht wohl außer Frage, denn wenn einer Bannmeile gegen mich stattgegeben wurde, muss ich Sibylle und Thorsten wohl auf's Übelste bedroht haben, was ich ja ganz offensichtlich leugne. Gut, ich werde daran arbeiten. Oh ja, das werde ich.
Office für Anfänger ist heute ebenfalls eine Pleite. Es sind noch eine der Jungmütter, der Schwörer und ich übrig. Und am Ende des Kurstages sind es noch eine der Jungmütter und der Schwörer, denn der Kursleiter kommt zu dem Schluss, dass es nur an meinem arroganten, unkooperativen Verhalten liegen kann, wenn Kursteilnehmer seinem Kurs fernbleiben. Er verabschiedet mich mit den Worten, das Faustrecht gelte heute nicht mehr. Schade, wo ich ihm heute zeigen wollte, wie man Soundeffekte in Powerpointpräsentationen einbindet.
13.05.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zweite Sondersitzung bei der Psychiaterin. Muss sein, denn nach meinen Ausfälligkeiten bei der Selbsterfahrungsgruppe bin ich zweifelsohne stark rückfallgefährdet. Kann gar nicht anders sein. Wie konnte ich der armen Frauke auch an den Kopf werfen, dass ich nicht von der Wirksamkeit ihrer Heilsteine überzeugt bin. Und wie konnte ich nur die Knaus-Ogino Methode in Frage stellen. Und Feng Shui Beratern unterstellen, ein Geschäft mit der Leichtgläubigkeit esoterisch veranlagter Zeitgenossen zu machen.
Wie dem auch sei, eine weitere Beschwerde über meine ununterbrochene Impertinenz kam vom Arbeitsamt. Na ja, Frau Drach wird schon wissen, was gut für mich ist. Und ich brauche wirklich keine Fortbildung als Bilanzbuchhalter, wenn ich stattdessen doch auch einen Kurs in Typberatung machen kann.
16.05.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Erster Tag Typberatung. Ich komme rein und sehe nicht richtig. Dachte ich. Die Typberaterin - lange pinke Klauen, Nuttenkringel, breiter Gürtel/Miniminirock - stellt sich als Schantalle vor und begrüßt mich mit:„Äh nä - bist du nich der olle Typ aus'm Offizkurs? Wat willst du denn hier?“
30.06.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Anklageschrift ist verlesen, die Gutachter wurden gehört. Tja, eine erschlagene Typberaterkursleiterin, ein mit Computermäusen gesteinigter (oder muss es gemauster heißen?) Office-für-Anfänger-Kursleiter, ein Arbeitsamt und eine psychiatrische Praxis in Trümmern. Ein Psychiaterin, die jetzt für sehr lange Zeit selber psychiatrische Behandlung brauchen wird, eine Selbsterfahrungskursleiterin, der ein lila Poncho in den Rachen gestopft wurde und ein Hauswirt, der an eine Fahradkellertür genagelt wurde, bevor die Belegschaft eines ganzen Polizeireviers nötig war, eine Brandstiftung in selbigem gerade noch zu verhindern, nachdem einer ihrer Kollegen in bester Horst Schimanski-Manier vermöbelt wurde.
Immerhin, Bennis Aussage („Es war zu erwarten. Er war immer noch psychisch labil. Und seine Pillen hat er auch nicht genommen.“) sichert mir wieder mal die Anerkennung der Unzurechnungsfähigkeit.