Johanna von Wechtheim Schnargel-Dieffenbroich
Johanna von Wechtheim Schnargel-Dieffenbroich (* 23. März 1878 in Mödrath † 23. März 1940 in Mödrath ) war eine deutsche Miederwarenfabrikantin, Frauenrechtlerin und Esoterikerin, die mit zu den einflussreichsten, aber auch umstrittendsten Persönlichkeiten ihrer Epoche gehörte.
Lebenslauf
Geburt und Kindheit
Johanna von Wechtheim Schnargel-Dieffenbroich wurde am 23. März 1878 als Tochter des Freiherrn Gustav von Wechtheim und seiner Gattin Mechthild auf dem Landschloss der Wechtheim-Dynastie in Mödrath im Bergischen Land geboren. Bei ihrer Geburt kam es zu Komplikationen, da aufgrund des schweren Winters 1878 die Gebärstube des Landschlosses furchtbar kalt war, was zu einer extremen Verengung der mütterlichen Gebärmutter führte. Nur mit einer Gebärzange konnte die bibbernde Johanna aus dem Unterleib ihrer Mutter befreit werden, was zu einer Sauerstoffunterversorgung ihres kleinen Gehirns führte. So lernte sie erst mit fünf Jahren zu sprechen und zog zeitlebens ihr linkes Bein hinterher, weshalb sie später auch zu dem wenig ruhmvollen Beinamen „die Hinkende“ kam. Die Eltern konnten es sich leisten, ihre Tochter von ausgesuchten Privatlehrern unterrichten zu lassen, ihre geistige Behinderung konnte durch diese exzellente Ausbildung tatsächlich kompensiert werden und mit dem Eintritt in die Pubertät merkte man „Johanna der Hinkenden“ ihren kleinen intellektuellen Makel fast nicht mehr an.
Der Vater Gustav hatte früh das Familienunternehmen Kommanditgesellschaft Wechtheim Liebestöter Fabrik übernommen, da sein Vater im Deutsch-Französischen Krieg im Alter von nur 34 Jahren an einer Überdosis Bleikugeln verstorben war, und führte die Miederwarenfabrik vorbildlich und erfolgreich. Er galt als gerechter Mann, der gut zu seinen Lohnsklaven war und geschäftliche Entscheidungen weise und vorausschauend traf. Johanna blieb der einzige Nachwuchs der Eheleute von Wechtheim, da sich Mutter Mechthild nach der traumatisierenden Erfahrung mit der Geburtszange einer weiteren Begattung durch ihren Gustav verweigerte, und in Ermangelung eines männlichen Stammhalters war Johannas beruflicher Werdegang von Anfang an vorbestimmt. Sie würde die Miederwarenproduktion ihres Vaters übernehmen und die Fabrik wie ein Mann führen müssen, auch wenn sich das mit der Frauenrolle im späten 19. Jahrhundert nur schwer vereinbaren ließ.
Emanzipation
Ab dem Alter von 20 Jahren wurde Johanna die Hinkende immer häufiger von ihrem Vater mit in die Fabrik genommen und in die Kunst der Miederwarenfabrikation eingeführt. Das Tragen eng geschnürter Mieder war der jungen Frau ein Graus, sie weigerte sich zunehmend, diese formgebenden Stützcorsagen zu tragen und geriet immer öfter mit ihrem Vater aneinander, dem die Emanzipation seiner Tochter in diesem Punkt viel zu weit ging. In den Sommermonaten hielt sich die kleine Familie zur Sommerfrische in ihrem Landschloss auf und Johanna provozierte ihren Vater gerne dadurch, dass sie unbemiedert und nur mit einem Sonnenschirmchen bekleidet durch den Schlossgarten hinkte. Der arme Mann geriet dadurch derart in Rage, dass er im Sommer 1898 nach einer neuerlichen Freikörperkulturattacke seiner Tochter an einem Herzinfarkt verstarb.
Derart befreit übernahm Johanna im Alter von nur 21 Jahren die väterliche Fabrik und stellte die Produktion teilweise auf die Herstellung leichter Seidenunterwäsche um. Sie brach nicht ganz mit den alten Traditionen, da viele Frauen zur Jahrhundertwende noch nicht so emanzipiert waren, als dass sie auf herkömmliche, festverschnürte Miederwaren verzichtet hätten, und eine radikale Produktionsumstellung auf Seidenunterwäsche die wirtschaftliche Existenz der Fabrik gefährdet hätte, doch es gab genügend progressive Frauen, die die neu auf den Wäschemarkt geworfenen Produkte der hinkenden Johanna dankbar annahmen und mit zur Schau gestellter Frivolität ihren verdutzten Männern vorführten. Johanna schrieb auch ein vielbeachtetes Essay „Über die liebestötende Wirkung von Stützcorsagen“ und beschrieb darin eindrucksvoll und wissenschaftlich, wie das komplizierte Aufschnüren von Miedern die Lust des Mannes am Beischlaf verringert und die Qualität des Liebeslebens insgesamt mindert. Auch die durch das Mieder symbolisierte gesellschaftliche Unterdrückung der Frau wird in diesem Essay ausführlich behandelt und noch heute gilt es als das Standardwerk für selbstbewusste Emanzen.
Aus Mitgefühl für die Frauen, die auf das Tragen von Stützcorsagen dennoch nicht verzichten wollten, entwickelte Johanna das sogenannte Einwegmieder für die betuchtere Kundschaft. Statt der komplizierten Verschnürung waren an der Rückseite dieser Konstruktion Klettverschlüsse angebracht, außerdem wurde dem Mieder ein Metallschneider beigelegt, sodass der sexuell erregte Mann dem Objekt seiner Begierde binnen weniger Sekunden das Mieder vom Leib schneiden bzw. reißen konnte, ohne seine Erregung frühzeitig wieder zu verlieren.
Privatleben
Durch den Aufstieg zur Fabrikinhaberin wurde Johanna die Hinkende in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und die durch ihre leichten Behinderungen verursachten Minderwertigkeitskomplexe verschwanden. Hatte sie es bis dahin nie gewagt, Kontakte zu Männern zu knüpfen, entwickelte sich Johannas Liebesleben nun prächtig und es gab kaum einen Ball, auf dem die strahlende Johanna nicht anwesend war, um ihre miederlose Weiblichkeit den begehrenden Blicken ihrer zahlreichen Verehrer auszusetzen. Auch mit dem Gärtner ihres Landschlosses in Mödrath begann sie ein Verhältnis, und nachdem Johanna von diesem Mann namens Franz Schnargel-Dieffenbroich im Sommer 1903 schwanger wurde und eine Abtreibung für sie nicht in Frage kam, heiratete sie den Gärtner und wurde zur Johanna von Wechtheim Schnargel-Dieffenbroich. Im März 1904 gebar die hinkende Johanna einen Sohn und die Freude im Hause von Wechtheim Schnargel-Dieffenbroich war groß. Zu Ehren des kleinen Gustavs, wie die Eltern den Jungen in Gedenken an Johannas Vater nannten, legte die Konzernlenkerin eine Sonderkollektion seidener Stützstrümpfe für thrombosegefärdete Damen auf, die ein voller Erfolg wurde und den Reichtum der Familie weiter steigerte.
Esoterik
Johannas Mann war ein überzeuter Esoteriker und sprach während seiner Gartenarbeit oft mit den Baumgeistern und Elfen, die den Schlossgarten des Landschlosses bewohnten. Johanna fand ihrerseits Gefallen an der Esoterik, veranstaltete nun regelmäßig Esoterik-Seminare und lud prominente Gastredner auf ihr Anwesen ein. So war der Anthroposoph Rudolf Steiner im Sommer 1905 zu Gast auf Schloss Wollust, wie Johanna es immer scherzhaft nannte und referierte über seine Weltanschauungen und Erkenntnisse im Bereich der Holographischen Resonanz. Dieses Erlebnis beeindruckte Johanna so stark, dass sie fortan eine treue Anhängerin Rudolf Steiners wurde, was ihren Mann Franz zunehmend eifersüchtig und misanthropisch werden ließ. Zu Ehren ihres Gurus legte die Hinkende 1910 eine Sonderkollektion Satinunterhosen auf, die sie pathetisch: Transparente Höschen für das bessere Verständnis des Holographischen Weltbilds nannte. Die Kollektion fiel aber bei der Kundschaft durch und sorgte für ein sattes Minus in der Jahresbilanz.
Der Aufstieg
Während eines großen Banketts zu Ehren des deutschen Kaisers und der Einweihung der Kaiser-Wilhelm-Brücke in Rumbeck (Hochsauerlandkreis) lernte Johanna die Hinkende 1909 die Gattin des Kaisers, Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg kennen. Bei ihrer lebhaften Unterhaltung über Miederwaren und die Rolle der Frau im deutschen Kaiserreich fanden die beiden Damen Gefallen aneinander und Johanna legte ihrer neugewonnenen Freundin Auguste nahe, doch einmal die Stützcorsage mit feiner, leichter Seidenwäsche zu tauschen. Noch am nächsten Tag schickte die geschäftstüchtige Johanna auf eigene Kosten einen Kurier mit einer repräsentativen Kollektion aus dem Hause von Wechtheim nach Berlin und die Kaisersgattin war über das Geschenk hellauf begeistert. Der Kaiser, selbst durch seinen verkümmerten linken Arm leicht behindert, fand Gefallen an der hinkenden Unternehmerin und an der neuen Wäsche seiner Gattin ebenfalls. Er entwickelte sogar selber einen Seidenwäschefetischismus und trug unter seinen Uniformen fortan nur noch Damenunterwäsche aus dem Hause Wechtheim. Wenn er unbeobachtet in seinen Kaisergemächern weilte, posierte er vor einem goldenen Spiegel, nur mit Seidenunterwäsche, einem Säbel und seinem albernen Kaiserhelm bekleidet und gab sich selbst militärische Befehle.
Die Verbindung zum Kaiserhaus brachte dem Unternehmen Johannas Aufträge in Hülle und Fülle, sie belieferte fortan sämtliche Wäschehäuser des Kaiserreiches und auch die Damen in den fernen Kolonien. Das Unternehmen expandierte so stark, dass Johanna im Jahre 1912 eine zweite Fabrik neben ihr Stammhaus in Zerkall errichten ließ und eine weitere Fabrik in Berlin eröffnete. Mehrere Wechtheim-Dependancen in Deutsch-Ostafrika machten die Produkte der Wäschefabrikantin auch auf dem schwarzen Kontinent berühmt und es gab sogar eingeborene Stammesoberhäupter und Medizinmänner, die ihre bis dahin weitgehend unverhüllten Körper nun in feinste Seidenunterwäsche aus dem Hause Wechtheim hüllten.
Der Erste Weltkrieg warf seine Schatten voraus und die immense Aufrüstung in Deutschland kam auch dem Hause Wechtheim zugute. So gab der Kaiser der hinkenden Johanna persönlich die Anweisung, schusssichere Unterwäsche für das deutsche Heer anzufertigen. Die gesamte Infanterie und Kavallerie wurde mit speziellen Liebestötern aus Leichtmetall ausgerüstet, der Umfang dieses Auftrags belief sich auf 320 Millionen Reichsmark und machte das Unternehmen von Wechtheim zu einem der größten im Deutschen Reich.
Einen Teil ihres Reichtums investierte Johanna nun in Kriegsanleihen, und ihrem anthroposophischen Idol Rudolf Steiner schenkte sie einen sechsstelligen Geldbetrag. 100 Millionen Reichsmark legte sie in ihrer weisen Voraussicht in Goldbarren an, um ihren gewaltigen Reichtum über den bevorstehenden Krieg zu retten. 1913 kaufte sie sich eine Stadtwohnung im 1. Arrondissement in Paris, einer Stadt, die sie liebte und deren Lebensgefühl ganz dem ihrigen entsprach. Außerdem hatte sie - ganz opportunistische Geschäftsfrau - von den Plänen des Kaisers zur Eroberung Frankreichs Wind bekommen, wollte sich schon mal dort heimisch machen und den potentiellen Wäsche- und Miederwarenmarkt ausloten.
Erster Weltkrieg
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, befand sich das Unternehmen Kommanditgesellschaft Wechtheim Liebestöter Fabrik im Zenit seines wirtschaftlichen Erfolges. Johanna die Hinkende war eine gesellschaftlich hochangesehene Dame geworden und der Kaiser bat sie, die Moral der kämpfenden Truppe durch regelmäßige Frontbesuche zu stärken. Angesichts des blutigen Elends in den Schützengräben begann Johanna mit feinstofflichen Gesundbetungen der verstümmelten Soldaten, und besonders um die vielen Giftgasopfer, die durch den Phosgen-Einsatz der französischen Truppen schwer verletzt worden waren, kümmerte sie sich mütterlich und aufopferungsvoll. Während der Schlacht an der Somme (Juli - November 1916), der verlustreichsten Schlacht des Ersten Weltkriegs, war Johanna mehrere Monate vor Ort und betete sich geradezu in einen religiösen Wahn hinein. Für die verwundeten Soldaten waren diese Gesundbetungen zwar nicht sehr effektiv bei der Wiederherstellung ihrer abgeschossenen Gliedmaßen und verätzten Lungen, doch der Placebo-Effekt hielt zumindest die Kampfmoral aufrecht und Johanna bekam von den Soldaten den Beinamen „Johanna die hinkende Heilige.“ Die metallene Wechtheim-Unterwäsche der Soldaten konnte zwar einfachen Gewehrkugeln standhalten, doch gegen das Trommelfeuer aus britischen und französischen Maschinengewehren und die großkalibrigen Artilleriegeschosse konnte diese Spezialwäsche die deutschen Soldaten auch nicht schützen, was die Unternehmerin sehr bekümmerte und unendlich traurig stimmte.
Nachdem 450.000 deutsche, 400.000 britische und 200.000 französische Soldaten an der Somme ihr Leben gelassen hatten und die hinkende Johanna durch ihre vielen, letztendlich fehlgeschlagenen Gesundbetungen total erschöpft und deprimiert war, beschloss sie, dem Krieg den Rücken zu kehren und sich fortan mehr auf die morphogenetischen Schwingungen in der Welt zu konzentrieren. Sie war überzeugt davon, dass Meditation und Gebete für den Weltfrieden dem Krieg ein Ende setzten könnten und zog sich zusammen mit ihrem Gatten auf das Landschloss in Mödrath zurück, wo sie von Dezember 1916 bis August 1917 ununterbrochen meditierte und betete. Als Johanna aus ihrer neunmonatigen Dauertrance wieder erwachte und bemerkte, dass ihre meditativen Bemühungen den Weltfrieden nicht erzwingen konnten, reiste sie erneut an die Front und setzte ihre Gesundbetungen während der Panzerschlacht von Cambrai fort. Am 3. Dezember verletzte eine britische Mörsergranate die tapfere Johanna und riss ein klaffendes Loch in ihren zarten Rücken. Sie wurde umgehend in ein Lazarett transportiert und verbrachte anschließend 4 Monate in einem Krankenhaus in Düren, wo sie sich von den Strapazen des Krieges erholen konnte. Im April 1918, als die Niederlage Deutschlands abzusehen war, setzte sich Johanna für sechs Monate in die afrikanischen Kolonien ab und übergab ihrem Mann für diese Zeit die Führung des Unternehmens. Erst im Oktober kehrte sie zurück nach Zerkall, wohl ahnend, was nun folgen würde.
Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten am 11. November 1918, der unter anderem die vorübergehende Besetzung des Rheinlands zur Folge hatte, stürmte eine französische Brigade die Fabrik in Zerkall, internierte die 2300 Arbeiter in einer Werkshalle und annektierte alle Wäschebestände, die sich im Lager befanden. Entwürdigende Szenen spielten sich ab: Die Arbeiter wurden dazu gezwungen, sich zu entkleiden, durchsichtige Frauenunterwäsche und Corsagen anzulegen und anschließend in dieser Montur durch die nahegelegenen Ortschaften zu marschieren. Der stellvertretende Geschäftsführer der Fabrik wurde standrechtlich erschossen und das Firmenschild mit dem Kot französischer Soldaten besudelt. Johanna die Hinkende wurde von den Franzosen zwar mit Respekt behandelt, ihr wurde aber nahegelegt, das Land zu verlassen und die Fabrik widerstandslos in die Hände der französischen Besatzer zu übergeben.
Weimarer Republik
Johanna die hinkende Heilige setzte sich nach der Besetzung ihrer Fabrik zusammen mit ihrem Mann kurzfristig in die Schweiz ab, wo sie in Dornach ein Landschloss kaufte, um ihrem Guru Rudolf Steiner nahe zu sein. Sie hielt sich oft im Goetheanum auf und spendete der antroposophischen Gemeinde horrende Geldbeträge, was 1922 zum Bau des zweiten Goetheanums führte (Fertigstellung 1928). Die Wirren der Nachkriegszeit verfolgte sie besorgt, die sozialistischen Tendenzen in ihrer Heimat erfüllten die überzeugte Kapitalistin mit Sorge und sie hielt regen Kontakt zu ihren politischen Freunden in Deutschland, um den richtigen Zeitpunkt für eine Rückkehr in ihr geliebtes Heimatland nicht zu verpassen. Die Hyperinflation in der Zeit von 1919 - 1923 setzte auch den Markt für Frauenunterwäsche erheblich unter Druck und die Geschäfte der Unternehmerin liefen schlecht. Die im Versailler Vertrag festgelegten Reparationszahlungen belasteten ihr Unternehmen schwer (90% der produzierten Seidenschlüpfer, Stützstrümpfe und Corsagen wurden von den Franzosen beschlagnahmt) und fast hätte die Unternehmerin das Handtuch geworfen. Als 1923 das Rheinland aufgrund nicht pünktlich geleisteter Reparationszahlungen erneut von französischen Truppen besetzt wurde, entschied sich Johanna, nach Deutschland zurückzukehren, um sich aktiv gegen das französische Joch zu stellen.
Da sie kurz vor dem Eintritt in die Wechseljahre stand, entschied sie sich, ein zweites Kind zu zeugen, und während einer okkult anmutenden Zeremonie kurz nach ihrer Heimkehr nach Zerkall im Juli 1923 vergewaltigte sie ihren Franz zu den aus einem Grammophon tönenden Klängen von Richard Wagners Walkürenritt, was am 3. April 1924 die Geburt des zweiten Sohnes Ferdinand zur Folge hatte. Dieses Ereignis belastete das Verhältnis der Eheleute von Wechtheim Schnargel-Dieffenbroich sehr und eine baldige Scheidung ihrer Ehe war abzusehen.
Die goldenen Zwanziger
Durch die weise Politik von Außenminister Stresemann, mit dem Johanna die Hinkende regelmäßig verkehrte, die eine Politik der Annäherung an Frankreich bewirkte, sowie die ins Land strömenden amerikanischen Kredite entspannte sich die Lage in Deutschland zunehmend. Der Bedarf an hedonistischen Festen war nach den Jahren der Entbehrung groß und auch Johanna beteiligte sich rege an so mancherlei Ausschweifung. Nach der Scheidung von ihrem Gatten im Januar 1925 genoss sie das Leben und ihren Reichtum in vollen Zügen und begann eine lesbische Affaire mit der Revuetänzerin Josephine Baker, die sie am 14. Januar 1926 bei deren Deutschland-Premiere am Nelson-Theater in Berlin kennen- und lieben lernte. Trotz des hohen Altersunterschieds (Mrs. Baker war zur dieser Zeit erst zarte 19 Jahre alt) entwickelte sich eine heftige Liebesaffäre zwischen den beiden und Johanna konnte ihre Geliebte dazu gewinnen, als Wäschemodell für die neue Produktlinie des Hauses Wechtheim zu arbeiten, was den schleppenden Geschäften der Unternehmerin in der Nachkriegszeit ungemeinen Aufschwung verlieh. Um ihre Liebesbeziehung zu Josephine vor den wachsamen Augen des deutschen Großbürgertums zu verbergen, hielt sich Johanna in den Jahren 1926/27 häufig in Paris auf, wo Mrs. Baker am weltbekannten Folies Bergère engagiert war, und benutzte ihre dortige Wohnung als geheimes Liebesnest. Der Altersunterschied zwischen den beiden Frauen von immerhin 28 Jahren erwies sich letztendlich jedoch als zu groß und Johanna erkannt auch, dass die gleichgeschlechtliche Liebe allein sie auf Dauer nicht befriedigen würde. Desweiteren war sie das aufkommende Getuschel über ihre sexuelle Orientierung leid, welches mit der Zeit geschäftsschädigende Ausmaße angenommen hatte, und so beendete Johanna die Beziehung zu Josephine Baker Ende 1927 und kehrte Paris für längere Zeit den Rücken.
1928 machte Johanna die Bekanntschaft mit der Frauenrechtlerin und SPD-Reichstagsabgeordneten Adele Schreiber, die sich intensiv um eine gesetzliche Festlegung der Mündigkeit von Frauen einsetzte und vehement die Ächtung von Stützcorsagen und Liebestötern forderte. Auch im Kampf gegen die im § 218 festgelegte Kriminalisierung der Abtreibung engagierte sich Adele Schreiber leidenschaftlich. Johanna die Hinkende bewunderte die streitbare Frau sehr und unterstützte sie moralisch wie finanziell.
Nazizeit
Die Erstarkung der Nazis in der Endzeit der Weimarer Republik betrachtete Johanna die Hinkende zuerst mit Sorge. Durch ihre Freundschaft mit der Jüdin Adele Schreiber war sie sensibilisiert, was die antisemitischen Strömungen in Deutschland anbelangte. Andererseits fühlte sich die Esoterikerin angezogen von den altgermanischen Ritualen der Nazis und ihrer zur Schau gestellten Vaterlandsliebe, und als sie am 30. März 1930 auf einem Bankett zu Ehren des neu ernannten Reichskanzlers Heinrich Brüning Adolf Hitler persönlich kennenlernte, war sie von dessen geheimnisvoller Ausstrahlung sehr beeindruckt und wurde binnen weniger Wochen in den Bann nationalsozialistischer Ideen gezogen. Sie ließ umgehend eine eine in hellem Braun gehaltene Wäschekollektion mit dem Namen „Braune Seide für deutsche Frauen“ auflegen und schenkte Hitlers Schäferhund Blondi einen extra angefertigten Schäferhundschlüpfer aus Satin mit integriertem Auffangkörbchen. Johanna hielt sich jetzt immer öfter auf Veranstaltungen der NSDAP auf, beendete ihre Aktivitäten als Frauenrechtlerin und vertrat vehement die rassenhygienischen Auffassungen der Nationalsozialisten. Sie setzte sich sehr für eine Verleihung der deutschen Staatbürgerschaft an Adolf Hitler ein, der seit 1925 staatenlos durchs Leben marschierte, und ließ zu diesem Zweck ihre guten politischen Beziehungen spielen. Im Freistaat Braunschweig, in dem die Nazis bereits mitregierten, bestach Johanna den Braunschweiger Ministerpräsidenten Werner Küchenthal mit einer Kollektion feinster Reizwäsche für seine Frau und bewegte ihn dazu, dem staatenlosen Hitler eine Stelle bei der braunschweigischen Gesandtschaft beim Reichsrat in Berlin zu verschaffen, wodurch dieser automatisch zum deutschen Staatsbürger wurde und damit die Bedingungen für eine Wahl zum Reichskanzler erfüllte.
Kollaboration und Verblendung
Hitler war der hinkenden Johanna für diese Unterstützung sehr dankbar und versprach ihr einen Kabinettsposten bei seiner nun nicht mehr aufzuhaltenden Machtergreifung, was die Unternehmerin mit den Worten „Ich arbeite lieber im Hintergrund, mein baldiger Führer“ dankend ablehnte. 1933, kurz nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, trat die hinkende Johanna der NSDAP bei und lernte auf einer Propagandaveranstaltung den hinkenden Propagandaminister Joseph Goebbels und seine Frau Magda kennen. Der hinkende Joseph hatte schon viel von der umtriebigen Unternehmerin gehört und fühlte sich ihr auch durch deren Behinderung sehr verbunden. Seine Frau, die Fruchtbarkeitsgöttin Magda, trug ausschließich Reizwäsche aus der Kollektion „Braune Seide für deutsche Frauen“, was die Hormone des Ministerchens stark in Wallung brachte und die Produktion arischer Kinder im Hause Goebbels sehr beförderte. Zwischen Magda und Johanna entwickelte sich eine innige Freundschaft, und als Magda bei den Olympischen Spielen 1936 die Goldmedaille im Wettgebären gewann, stand ihr Johanna als Hebamme zur Seite.
Die Unternehmerin unterstützte fortan aktiv den Lebensborn e.V. und entwickelte ständig neue Wäschekollektionen, welche die Lust arischer Männer auf ihre arischen Frauen verstärken und die Arierproduktion für das bevorstehende tausendjährige Reich ankurbeln sollten – und auch taten. 1937 begegnete die nun 59-jährige dem sieben Jahre jüngeren Generalleutnant Otto-Wilhelm Förster auf einer Informationsveranstaltung des Lebensborn e.V., die beiden verliebten sich ineinander und heirateten nur vier Monate später in Johannas Heimatort Zerkall, was Anlass für ein ein rauschendes Hochzeitsfest gab, bei dem die gesamte deutsche Prominenz aus Wirtschaft, Kultur und Politik anwesend war.
Euphorisiert von der braunen Ideologie, benannte Johanna ihre Firma um in Kommanditgesellschaft Wechtheim Lebensborn Fabrik und nötigte ihre Angestellten, in die NSDAP einzutreten. Mitarbeiter, die sich dieser Forderung verweigerten, wurden entlassen und von der Unternehmerin persönlich bei der Gestapo denunziert, was einige von ihnen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten enden ließ. Aufgrund ihrer vorzüglichen Kontakte zum Regime florierte ihr Geschäft fast so wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs, und ihre Fabrik belieferte fast alle Miederwarengeschäfte des Deutschen Reichs mit braunseidigen Wäschekollektionen. Die Hälfte ihres Jahresumsatzes 1937 (immerhin 90 Millionen Reichsmark) spendete die verblendete Unternehmerin dem Lebensborn e.V., was ihr noch größere Sympathie beim Reichspropagandaminister einbrachte und Magda Goebbels zu den Worten bewegte: „Johanna ist eine wahre deutsche Heilige, noch heiliger, als ich es je sein werde; ich verneige mich vor dieser großen Frau.“
Der Führer persönlich verlieh ihr anläßlich ihres sechzigsten Geburtstags 1938 das Ritterkreuz mit Brillanten und huldigte der hinkenden Johanna in seiner Festrede als „...trrrrreue Weggefährrrtin der nationalsozialöstischen Bewögung, dö söch um die Ausmerrrrrzung der jödisch-bolschewistischen Pöst verdient gemacht und durrrrrch ihre sälbstlose Unterstötzung des Läbensborrrrn e.V. die drrrrohende Ausrrrrrottung der arrrrrrischen RRRRRRasse verhöndert hat.“
Zweiter Weltkrieg
Johannas Gatte Otto-Wilhelm Förster, der 1938 zum General der Pioniere befördert worden war und das Kommando über das VI. Armeekorps hatte, wurde beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 nach Polen beordert und er gestattete seiner geliebten Johanna, ihn bei diesem Kriegszug zu begleiten. Kurz vor Kriegsbeginn hatte sie die Miederwarenproduktion in ihren Fabriken stoppen und auf die Produktion von Mörsergranaten und Giftgas umstellen lassen. Nach den enttäuschenden Erfahrungen mit der Produktion von Leichtmetallunterwäsche im Ersten Weltkrieg wollte sie diesmal einen wirksameren Beitrag zum Schutz der deutschen Soldaten leisten.
Johanna fühlte sich zurückversetzt in ihre Frontzeiten während des Ersten Weltkriegs und folgte dem VI. Armeekorps voller Kampfeslust und Siegesgewissheit in die Schlacht. Sie wollte der Truppe beiseite stehen und nahm die Praxis des Gesundbetens wieder auf, obwohl aufgrund der militärischen Überlegenheit der Deutschen zu Beginn des Überfalls auf Polen nicht allzuviele deutsche Soldaten gesundgebetet werden mussten. Doch ihre esoterischen Kräfte waren längst nicht mehr so stark wie früher, was wohl auf die von ihr adaptierte nationalsozialistische Weltanschauung zurückzuführen war, welche ihre paranormalen Fähigkeiten versiegen ließen.
Während des Angriffs auf Polen erlebte sie ihren Gatten Otto-Wilhelm als General in Aktion, war aber enttäuscht über dessen weichherziges Auftreten bei der Verhaftung jüdischer Polen in Krakau, die er unter einem fadenscheinigen Vorwand einfach laufen ließ. Die linientreue Johanna war derart erbost über diesen Vorfall, dass sie von nun an die Absetzung ihres Gatten als General vorantrieb (der General wurde 1941 aus dem aktiven Kriegsdienst entlassen). Nach der Aufteilung Polens am 8. Oktober in einen deutschen und einen sowjetischen Teil reiste Johanna gemeinsam mit ihrem Gatten zurück nach Deutschland. Ständige Vorhaltungen seiner Gattin ob seiner anmaßenden Feigheit und Untreue dem Führer gegenüber erzürnten den General derart, dass er kurzerhand in dem kleinen polnischen Ort Ciepielów halten ließ und wahllos 23 Frauen und Kinder vor den Augen seiner Gattin erschoss.
Krankheit
Dieses Erlebnis traumatisierte Johanna schwer und löste bei ihr binnen weniger Wochen eine akute Oktandemenz aus. Die Krankheit versetzte Johanna in eine Art Hypertrance und befähigte sie zur Hellsichtigkeit und Zukunftsschau. Sie zog sich auf ihr Landschloss in Mödrath zurück, verdunkelte alle Zimmer mit schwarzem Samt und sah drei Wochen lang ununterbrochen hell:
- Sie sah die Schlacht von Stalingrad und die Vernichtung hunderttausender deutscher und sowjetischer Soldaten voraus.
- Sie sah die Vernichtung der europäischen Juden voraus und wäre an den grausamen Bildern vor ihrem geistigen Auge fast an einem Schock gestorben.
- Sie sah den feigen Selbstmord Hitlers und seiner Schergen voraus und musste zwei Flaschen jamaikanischen Strohrum trinken, um ihren Ekel vor diesen Bildern in den Griff zu kriegen.
- Sie sah die Gründung des Staates Israel voraus und den daraus resultierenden Nahost-Konflikt.
- Sie sah die Radikalisierung der RAF und die Entführung Hanns Martin Schleyers voraus.
- Sie sah den Wiederaufbau Deutschlands voraus, der 2005 in die Gründung der deutschsprachigen Uncyclopedia mündete.
- Sie sah auch die posthume Würdigung ihres Lebenswerks durch diesen Artikel voraus und reiste in die Zukunft, um dem Autor wertvolle Insiderinformationen zukommen zu lassen.
Tod und Erlösung
Nach diesen drei Wochen der Hellseherei war Johanna von ihren düsteren Visionen sehr geschwächt, und sie ließ ihren Sohn Ferdinand zu sich rufen. Sie befahl ihm, die Waffenproduktion in ihren Fabriken umgehend zu stoppen und sämtliche Standorte zu schließen. Dann überschrieb sie ihm und dem älteren Bruder Gustav ihr gesamtes Vermögen in Höhe von 230 Millionen Reichsmark und Goldbarren im Wert von 160 Millionen US-Dollar unter der Bedingung, die Hälfte davon dem neu zu gründenden Staat Israel zu übergeben. Um sie herum entwickelte sich der für das Endstadium der Oktandemenz so typische permafluoriszierende Oktanschimmer und sie begann sich langsam in Licht aufzulösen. Ihre Gedanken wurden hörbar und erfüllten das Landschloss mit einer Kakophonie aus tausenden von Stimmen, was für ihre beiden Söhne eine sehr verstörende Erfahrung gewesen sein muss.
Am ihrem 62. Geburtstag, dem 23. März 1940, gegen vier Uhr morgens verstarb Johanna von Wechtheim Schnargel-Dieffenbroich, die hinkende Heilige und ihre spärlichen Überreste wurden von ihren beiden Söhnen noch am gleichen Tag in aller Stille in der Familiengruft neben dem Karpfenteich im Schlossgarten des Landschlosses in Mödrath beerdigt. Ihre letzten Worte sollen an ihr Idol Rudolf Steiner gerichtet gewesen sein: „Mein Rudolf, ich komme jetzt zu Dir in dein Reich, bete für mich und stell schon mal den Champagner kalt. Danke fürs Gespräch...“
Siehe auch
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