Hollywood-Standarddrehbuch
or langer, langer Zeit, als Drehbuchautoren in Hollywood noch talentiert und gut bezahlt waren, wurde einmal ein Drehbuch geschrieben, das so erfolgreich war, dass es seitdem immer und immer wieder verwendet wird. Es avancierte zum Standardlehrwerk an amerikanischen Filmhochschulen und muss seither traditionell von jedem Studenten mindestens einmal komplett abgeschrieben werden. Das legendäre Werk enthält zahlreiche Handlungselemente, die das amerikanische Kino bis heute nachhaltig geprägt haben und kaum ein amerikanischer Film versäumt es, dem Hollywood-Standarddrehbuch in irgendeiner Weise zu huldigen, indem er nicht wenigstens eines der nachfolgenden Elemente zitiert:
Der „Zehn-kleine-Negerlein“-Verlauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach diesem Handlungsschema werden zu Beginn des Films eine ganze Reihe oberflächlich profilierter Charaktere eingeführt. Anschließend wird kurz die Mission der Protagonisten beleuchtet, die auch häufig freudestrahlend und zuversichtlich angegangen wird. Dann folgen die ersten Komplikationen, die zwar noch niemanden das Leben kosten, aber die gute Laune ist dahin. In diesem Abschnitt wird gerne mit Präfigurationen (Vorausdeutungen) gearbeitet, z.B. träumt ein Crewmitglied davon, dass alle sterben werden oder es werden die Überreste von glücklosen Vorgängern gefunden oder ein anderes böses Omen. Dann plötzlich (und natürlich völlig unerwartet) ereignet sich der erste Unfall von vielen, hier wird oft eine als sympatisch eingeführte Figur geopfert, um den Verlust dramatischer und schmerzlicher wirken zu lassen. Danach geht es Schlag auf Schlag: reihenweise werden die Protagonisten niedergestreckt oder opfern sich in heroisch-altruistischer Weise gar selbst, um der Gruppe eine geringe Überlebenschance zu sichern, welche diese dann auch nicht nutzt. Zwischendurch, wenn das Gemetzel beginnt langsam öde zu werden, wird auch mal der obligatorische Quotenneger unspektakulär verheizt. Nach erfolgreicher Dezimierung kommt es zum Showdown, wo der Held und einzige Überlebende der Gefahr von Angesicht zu Angesicht gegenüber- und ihr in den Allerwertesten tritt. (Ausgiebig zelebriertes Krach!-Bumm!-Peng!) Schlußendlich überlebt nur einer, höchstens zwei, (meist ein Pärchen) und die reiten dann zusammen in den Sonnenuntergang. Happy End. Fertig. Beerdigungen gefallener Kameraden und die Benachrichtigung der Angehörigen ist langweilig und wird nicht gezeigt. Ende. Abspann. Raus.
Beispiele:
- Core (Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, ursprünglich ein Roman von Jules Verne, jetzt endlich auch als „Guckbuch“ für Analphabeten)
- Mission to Mars (…da waren's nur noch zwei!)
- Event Horizon
- Armageddon
- The Cave
- Predator
- Alien
Die zu erwartende, unerwartete Wendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
ist ein zentrales Element im Hollywood-Standarddrehbuch. Sie lässt Todkranke wider jede Vernunft auf wundersame Weise spontan genesen und schwerstverletzte Unfallopfer nach bereits aufgegebenen Reanimationsversuchen dann doch wieder ins Leben zurückkehren.
In windig zusammengeschusterten Low-Budget Produktionen krabbeln daher die Totgeglaubten reihenweise wieder aus ihren Kühltruhen im Leichenschauhaus zusammen mit einer hanebüchenen Erklärung, warum sie nun doch noch nicht die Bühne des Lebens räumen können oder gleich ganz ohne Begründung, nur so zum Spaß; mal bisschen die Angehörigen erschrecken.
Beliebt ist auch die zu erwartende unerwartete Wendung in Form des alten Hase & Igel-Spiels „Du kannst rennen so schnell du willst, ich bin schon da!“, die besonders gern in Horrorfilmen Anwendung findet. Während das designierte Opfer noch panisch davonrennt, gelegentlich ganz unerwartet hinfällt oder offen geglaubte Türen -ganz unerwartet- verschlossen vorfindet, hat sich der Verfolger bereits hinter die nächste offene Tür gebeamt um dort das Opfer freudig in Empfang zu nehmen.
Beispiele:
- Scream
- The Abyss („Lebe! Verdammt, du sollst leben!- Hoppla, sie lebt ja wieder…“)
Die Bombe mit dem roten Draht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Immer wenn Terroristen eine Bombe legen, sorgen sie dafür, dass es in ihr mindestens zwei farbige Drähte gibt (meistens rot und blau), von denen nur einer durchgeschnitten werden muss, um die Bombe zu entschärfen. Das Hollywood-Standarddrehbuch greift diesen realen Sachverhalt auf und erweitert ihn um den dramaturgisch wichtigen „ahnungslosen Kollegen“, der nutzlos danebensteht und einfach nur rumnervt, vorzugsweise durch hysterische Frauen verkörpert („… nur noch 10 Sekunden, jetzt tu' doch was! Nimm den Blauen! Nein! Doch den Roten! Oh Gott, wir werden alle sterben!“) In der Regel entscheidet sich der Protagonist dann doch für den anderen Draht, eine Sekunde bevor die Zeit abgelaufen ist, und: Oh Wunder! Es war der Richtige! (Wenn es der Falsche war, gäbe es davon wohl keine Filmaufnahmen…) Aktuelle Bombenbauanleitungen im Internet raten deshalb neuerdings zur Verwendung von ausschließlich grünen Drähten, um den Knobelfaktor zu erhöhen.
Beispiele:
- James Bond
- The Abyss („Mist, in grünem Licht sehen beide Drähte ja gleich aus!“)
Die geduldige Schatzkammer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Da, endlich, der antike Tempel ist gefunden! Vom Dschungel überwuchert oder unter Tonnen von Wüstensand begraben, aber gefunden! Schnell hinein, die gierigen Verfolger sind uns schon auf den Fersen! Vorsicht, die Fallen! Wie frisch geölt schießen die Giftpfeile aus den Wänden, tonnenschwere Steintüren fahren reibungslos herunter… Jetzt noch schnell den gefundenen Schlüssel ins Schloss stecken, an dieser Kurbel drehen und diesen Schalter hier drücken, es funktioniert! Hahaa! Es funktioniert! Alle die antiken Maschinen, die seit 3000 Jahren ohne Inspektion darauf warten, vom Abenteurer bedient zu werden funktionieren noch tadellos! Tja, früher gab's noch echte Qualitätsarbeit! Aber, Auweiha: Sobald der Schatz gefunden ist, wird der vorsintflutliche Selbstzerstörungsmechanismus aktiviert, die Wände beginnen zu bröckeln, Säulen stürzen ein und gigantische Steinkugeln beginnen hinter dem Abenteuerer herzurollen. Nichts wie weg und einen archäologischen Trümmerhaufen hinterlassen!
Beispiele:
- Indiana Jones
- Quartermain
- Tomb Raider
- Congo
- Das Vermächtnis der Tempelritter
Die wahnsinnigen Tapezierer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Fanatiker und Wahnsinnige tapezieren prinzipiell zwanghaft ihre Wohnung mit Zeitungsausschnitten, Fotos, zersägten Barbiepuppen und anderem belastendem Material, um eventuell mal vorbeischauenden Ermittlern ihren inneren Wahnsinn bildlich vor Augen führen zu können. Da muss dann schon mal die Menschenhautgardine zur Seite geschoben werden, um einen besseren Blick auf das blutige Graffito an der Wand, das Pentagramm auf dem Boden oder ins selbstgebastelte, liebevoll gestaltete Menschenkochbuch werfen zu können. Scheinbar über Jahre angesammeltes Psychogerümpel stapelt sich Messie-haft bis auf Hüfthöhe und flankiert den Weg zur Blutbadewanne, der Wellness-Oase des gestressten Triebtäters. Im morbiden Schein einer flackernden Glühbirnenfunzel eröffnet das minuziös geführte Mordtagebuch ein ausgedehntes Psychogramm des Wahnsinnigen und verweist auch gleich auf eine frühkindliche Misshandlung. Und während ein Ermittler noch in die Ecke reihert, stolpert ein anderer über die Play-Taste des Videorecorders, welcher daraufhin fröhlich lossprudelt und ein detailliertes Gemetzelheimvideo als Beweisstück A zum Besten gibt.
Beispiele:
- Sieben
- The Cell
- One Hour Photo
- Saw
Der einsame Rächer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Dieses dürre Handlungsskelett fasziniert v.a. kleine Jungs, deren täglicher Überlebenskampf in der Schule zu einer starken Identifikation mit dem Protagonisten führt. Dieser wird zu Beginn des Films grundsätzlich erst einmal schikaniert, herumgeschubst, gedemütigt und verdroschen. Des Weiteren wird er wahlweise seiner Würde, seiner Familie oder seines Besitzes beraubt, worauf dieser folgerichtig beschließt, eine Kampfkunst im Wochenendworkshop zu erlernen, um anschließend im Zorn des Gerechten alle auszuradieren, die da wohl die Bösen sind. Gelegentlich wird auch gleich zu spontaner Mutation oder ganz traditionell zum Waffenkauf gegriffen.
Beispiele:
- Karate Kid (von Schlappsack auf Schlagstock in einer Woche)
- Spiderman (Atomspinne bringt Wunderkräfte)
- Batman (Red' nicht so über meine Eltern!)
Der Schokoladeneis-Lobbyismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Da Frauen dazu neigen, ständig mit ihrem Körper unzufrieden zu sein, hat es sich das Hollywood-Standarddrehbuch zur Aufgabe gemacht, dieser verzweifelten Zielgruppe eine wirkungsvolle Frustbewältigungsstrategie an die Hand zu geben, die, bedingt durch ständige Wiederholung, inzwischen auch zahlreiche Anhänger gefunden hat. Die propagierte Methode beinhaltet zur Seelenschmerzminderung das bedingungslose, hemmungslose und restlose Reinfressen von 5-Liter-Schokoladeneis-Eimern, um den Kummer über zuviel Hüftgold vergessen zu machen. Diese nachvollziehbar logische Vorgehensweise vermag Zweifel über das eigene Äußere binnen kürzester Zeit in erlösende Gewissheit zu verwandeln.
Beispiele:
- Bridget Jones
- Schwer Verliebt
Schmalzbedingte Zeitdehnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Bombe zeigt noch sieben Sekunden an, bevor sie explodiert. Der Zug rast auf einen anderen zu und wird in etwa 10 Sekunden kollidieren. Die Flutwelle, der Vulkanausbruch, die GEZ stürmt heran, in wenigen Sekunden droht die totale Vernichtung — trotzdem bleibt noch genug Zeit (etwa zwei- bis drei...undzwanzig Minuten) sich gegenseitig tiefster Freundschaft, inniger Zuneigung und schmachtender Liebe zu versichern.
Möglich wird das alles durch den bereits in der Relativitätstheorie beschriebenen Effekt der gravitativen Zeitdilatation, d.h. je größer, massiger und wuchtiger das dem Zuschauer um die Ohren gehauene Schmalzbrett ist, desto langsamer vergeht die Zeit für die in ranzig-triefende Rührseligkeit eingefetteten Protagonisten.
Beispiele:
- viel zu viele
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